Vorlesung: Johann Wolfgang Goethe (SoSe 2017)
Prof. Dr. Albert Meier

Johann Wolfgang Goethe – Die Leiden des jungen Werthers

Nach dem deutschlandweiten Erfolg mit dem Drama Götz von Berlichingen (1773) erzielt Goethe 1774 seinen europaweiten Durchbruch mit dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers.

Der ›Roman‹ hat noch im späten 18. Jahrhundert als minderwertige Gattung gegolten (siehe Zitat unten). Seine allmähliche Aufwertung verdankt er nicht zuletzt der im englischen Sprachraum entwickelten Form des ›Briefromans‹ (vgl. Samuel Richardsons Pamela or, Virtue Rewarded, 1740): Eine fiktiver ›Herausgeber‹ behauptet, einen (natürlich ebenfalls fiktiven) Briefwechsel gesammelt zu haben, den er nun an die Öffentlichkeit bringt.

Goethes Die Leiden des jungen Werthers überbietet dieses Schema insofern, als ausschließlich Briefe der Titelfigur mitgeteilt werden (zumeist an den Freund ›Wilhelm‹ adressiert), sodass Werthers subjektive Sicht in ihrer monologischen Disposition durch keine Außensicht korrigiert wird; zudem übernimmt der ›Herausgeber‹ vor allem in den Schlusspassagen die Rolle eines durchaus unzuverlässigen ›Erzählers‹.

Mit dem Werther hat Goethe einer neuen Art des Lesens zum Durchbruch verholfen, die auf intensives Mitempfinden abzielt und mehr als je zuvor ein weibliches Publikum angesprochen hat. Charakteristisch für den gefühlsintensiven Sprachstil sind Wortwiederholungen und Ausrufe, die den Leser dazu bewegen, sich mit Werther zu identifizieren. (Beispielhafte Auszüge aus dem Roman befinden unten bei »Zitate«.)

Die zeitgenössischen Leser konnten nicht wissen, in welchem Ausmaß Goethes erster Roman autobiographische Motive enthält. So ist insbesondere die Dreiecksbeziehung zwischen Lotte, ihrem Verlobten Albert und Werther (wie Goethe an einem 28. August geboren) auf Goethes Umgang mit Charlotte Buff und ihrem späteren Ehemann Johann Christian Kestner zurückzuführen; im Unterschied zu Werther hat Goethe sich jedoch von Charlotte rechtzeitig zurückgezogen.

Neben seinen eigenen Liebeserfahrungen der Wetzlarer Zeit (Sommer 1772) hat Goethe aber auch den Selbstmord aus enttäuschter Liebe des Juristen Karl Wilhelm Jerusalem auf die Romanfigur Werther projiziert; Die Leiden des jungen Werthers beruhen demzufolge auf einer Art ›Montage‹, die (auto-)biografische Fakten in einen fiktionalen Zusammenhang integriert und dabei vor allem die Schilderung von Werthers Tod direkt einem Brief Kestners entnimmt, mit dem Charlotte Buffs Ehemann Goethe über die Umstände von Jerusalems Selbstmord informiert hat. (Eine Gegenüberstellung des Briefes mit der entsprechenden Romanpassage befindet sich ebenfalls am Ende dieses Textes bei »Zitate«.)

Goethes Werther erlaubt zwei unterschiedliche Rezeptionsweisen: einerseits das emotionale Nachempfinden von Werthers Schicksal, andererseits die distanziert-reflektierte Aufmerksamkeit auf die poetische Konstruiertheit des Romans (in erster Linie gilt es den ›Erzähler‹ in seiner Unzuverlässigkeit ernst zu nehmen – die in Briefromanen seinerzeit üblichen Herausgeber-Fiktionen haben nicht, wie oft gesagt wird, den Eindruck von Authentizität bzw. empirischer Wahrheit des Erzählten hervorgerufen, sondern dazu gedient, den Text in seiner Fiktionalität zu markieren). In diesem Sinne hat Goethe Friedrich Nicolais Parodie Die Freuden des jungen Werthers ironisch kommentiert: »Und wer mich nicht verstehen kann,| Der lerne besser lesen«

Goethe, Johann Wolfgang: ,,Auf Nicolai”. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 1.1: Der junge Goethe. 1757-1775 (1). Herausgegeben von Gerhard Sauder. München – Wien 1985, S. 264.

Goethe, Johann Wolfgang: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen:

»Ah! Schreiben ist geschäftiger Müßiggang. Es kommt mir sauer an; indem ich schreibe was ich getan habe, ärgre ich mich über den Verlust der Zeit, in der ich etwas tun könnte.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 1.1: Der junge Goethe. 1757-1775 (1). Herausgegeben von Gerhard Sauder. München – Wien 1985, S. 387- 509, S. 475. ]


Goethe, Johann Wolfgang: Dichtung und Wahrheit:

»Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, stille für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Dichtung und Wahrheit. Herausgegeben von Walter Hettche. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe. Stuttgart 1998, S. 478.]


Beyträge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache:

»Ein Roman ist zwar, in soferne er als ein Gedichte angesehen wird, mit unter die Gattungen der Poesie zu rechnen, er erlanget aber bey derselben nur eine von den untersten Stellen. Denn ob er gleich das Leben eines Helden erzehlet, seine wunderbare Zufälle beschreibet, und ihn durch vielfältige Abwechselungen endlich zu seinem Zwecke bringet: So ist er dennoch einem in Versen abgefaßten Helden-Gedichte weit nachzusetzen.«

[Beyträge zur Critischen Historie Der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Sechstes Stück. Leipzig 1733, S. 274.]


Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung:

»Was selbst der Dichter, der keusche Jünger der Muse, sich erlauben darf, sollte das dem Romanschreiber, der nur sein Halbbruder ist, und die Erde noch so sehr berührt, nicht gestattet seyn?«

[Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. Herausgegeben von Klaus L. Berghahn. Stuttgart 2002, S. 62.]


Wezel, Johann Karl: Hermann und Ulrike:

»Der Roman ist eine Dichtungsart, die am meisten verachtet und am meisten gelesen wird, die viele Kenntnisse, lange Arbeit und angestrengte Uebersicht eines weitläuftigen Ganzen erfodert, und doch selbst von vielen Kunstverwandten sich als die Beschäftigung eines Menschen verschreyen lassen muß, der nichts besseres hervorbringen kan.«

[Wezel, Johann Karl: Hermann und Ulrike. Ein komischer Roman in vier Bänden. Band 1. Leipzig 1780, S. 1.]


Sauder, Gerhard: Kommentar zu Die Leiden des jungen Werthers:

»Pro Memoria an die Churf. Bücher Kommission | Es wird hier ein Buch verkauft, welches den Titel führt, Leiden des jungen Werthers usw. Diese Schrift ist eine Apologie und Empfehlung des Selbst Mordes; und es ist auch um des Willen gefährlich, weil es in witziger und einnehmender Schreib Art abgefaßt ist. […] Da die Schrift also üble Impressiones machen kann, welche, zumal bei schwachen Leuten, Weibs-Personen, bei Gelegenheit aufwachen, und ihnen verführerisch werden können; so hat die theol. Fakultät für nötig gefunden zu sorgen, dass diese Schrift unterdrückt werde: dazumal itzo die Exempel des Selbstmordes frequenter werden. | Leipzig am 28. Januar 1775. | D. Joh. August Ernesti, als d. Z. Decanus | der theol. Fakultät allhier.«

[Sauder, Gerhard: Kommentar zu Die Leiden des jungen Werthers. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens.
Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 1.2: Der junge Goethe. 1757-1775 (2). Herausgegeben von Gerhard Sauder. München –Wien 1987, S. 786.]


Sauder, Gerhard: Kommentar zu Die Leiden des jungen Werthers:

»Vigore Commissionis wird denen sämtlichen hier anwesenden Buchhändlern und Buchdruckern der Vertrieb einer, unter dem Titul: Die Leiden des jungen Werthers usw. im Druck erschienenen Schrift bei Zehen Taler Strafe, hierdurch, bis auf weitere Verordnung, ausdrücklich untersaget. | Sign. Leipzig, den 30. Januar: 1775 | Churfürstl.: Sächß: Bücher Commissarii. | allhier D. Carl Andreas Bel | Der Rat zu Leipzig.«

[Sauder: Kommentar zu die Leiden des jungen Werthers (Anm. 7), S. 787]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»[…] er warf sich vor Lotten nieder in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Hände, druckte sie in seine Augen, wider seine Stirn, und ihr schien eine Ahndung seines schröcklichen Vorhabens durch die Seele zu fliegen. Ihre Sinnen verwirrten sich, sie druckte seine Hände, druckte sie wider ihre Brust, neigte sich mit einer wehmütigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden Wangen berührten sich. Die Welt verging ihnen, er schlang seine Arme um sie her, preßte sie an seine Brust, und deckte ihre zitternde stammelnde Lippen mit wütenden Küssen. Werther! rief sie mit erstickter Stimme sich abwendend, Werther! und drückte mit schwacher Hand seine Brust von der ihrigen! Werther! rief sie mit dem gefaßten Tone des edelsten Gefühls; er widerstund nicht, ließ sie aus seinen Armen, und warf sich unsinnig vor sie hin. Sie riß sich auf, und in ängstlicher Verwirrung, bebend zwischen Liebe und Zorn sagte sie: Das ist das letzte Mal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder. Und mit dem vollsten Blick der Liebe auf den Elenden eilte sie ins Nebenzimmer, und schloß hinter sich zu.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 1.2: Der junge Goethe. 1757-1775 (2). Herausgegeben von Gerhard Sauder. München –Wien 1987, S. 197-299, hier S. 290f.]


Goethe, Johann Wolfgang: Dichtung und Wahrheit:

»Die Wirkung dieses Büchleins [Werther] war groß, ja ungeheuer, und vorzüglich deshalb, weil es genau in die rechte Zeit traf. Denn wie es nur eines geringen Zündkrauts bedarf, um eine gewaltige Mine zu entschleudern, so war auch die Explosion welche sich hierauf im Publikum ereignete, deshalb so mächtig, weil die junge Welt sich schon selbst untergraben hatte, und die Erschütterung deswegen so groß, weil ein jeder mit seinen übertriebenen Forderungen, unbefriedigten Leidenschaften und eingebildeten Leiden zum Ausbruch kam. Man kann von dem Publikum nicht verlangen, daß es ein geistiges Werk geistig aufnehmen solle. Eigentlich ward nur der Inhalt, der Stoff beachtet, wie ich schon an meinen Freunden erfahren hatte, und daneben trat das alte Vorurteil wieder ein, entspringend aus der Würde eines gedruckten Buchs, daß es nämlich einen didaktischen Zweck haben müsse. Die wahre Darstellung aber hat keinen. Sie billigt nicht, sie tadelt nicht, sondern sie entwickelt die Gesinnungen und Handlungen in ihrer Folge und dadurch erleuchtet und belehrt sie.«

[Goethe: Dichtungen und Wahrheit (Anm. 3), S. 632f. ]


Goethe, Johann Wolfgang: An Gottlob:

»Allerhand neues hab ich gemacht. Eine Geschichte des Titels: die Leiden des iungen Werthers, darinn ich einen iungen Menschen darstelle, der mit einer tiefen reinen Empfindung, und wahrer Penetration begabt, sich in schwärmende Träume verliert, sich durch Spekulation untergräbt, biss er zulezt durch dazutretende unglückliche Leidenschafften, besonders eine endlose Liebe zerrüttet, sich eine Kugel vor den Kopf schiesst.«

[Goethe, Johann Wolfgang: An Gottlob Friedrich Ernst Schönborn (1. 6. – 4. 7. 1774). In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. II. Abteilung: Briefe, Tagebücher und Gespräche. Herausgegeben von Karl Eibl zusammen mit Horst Fleig u. a. Band 1 (28): Von Frankfurt nach Weimar. Briefe, Tagebücher und Gespräche vom 23. Mai 1764 bis 30. Oktober 1775. Herausgegeben von Wilhelm Große. Frankfurt am Main 1997 (Bibliothek deutscher Klassiker 139), S. 374f.]


Goethe, Johann Wolfgang: An Johann Caspar Lavater, 26. 4. 1774:

»Wir gingen neben einander, an die sechs Jahre ohne uns zu nähern. Und nun hab ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen und so machts ein wunderbaares Ganze.«

[Goethe, Johann Wolfgang: 107. An Johann Caspar Lavater und Johann Conrad Pfenniger, 26. April 1774. In: Briefe. Hg. von Georg Kurscheidt und Elke Richter. Band 21. Berlin 2009, S. 83-85, hier S. 84f.]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»Von dem Weine hatte er nur ein Glas getrunken. Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufgeschlagen. | […] | Um zwölfe Mittags starb er. Die Gegenwart des Amtmanns und seine Anstalten tischten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte, der Alte folgte der Leiche und die Söhne. Albert vermochts nicht. Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 299.]


Sauder, Gerhard: Kommentar zu Die Leiden des jungen Werthers:

»Von dem Wein hatte er nur ein Glas getrunken. Hin und wieder lagen Bücher und von seinen eignen schriftlichen Aufsätzen. Emilia Galotti lag auf einem Pult am Fenster aufgeschlagen; | […] | Gegen 12 Uhr starb er. Abends ¾11 Uhr ward er auf dem gewöhnlichen Kirchhof begraben (ohne daß er sezieret ist, weil man von dem Reichs-Marschall-Amte Eingriffe in die gesandtschaftlichen Rechte fürchtete) in der Stille mit 12 Laternen und einigen Begleitern; Barbiergesellen haben ihn getragen; das Kreuz ward voraus getragen; kein Geistlicher hat ihn begleitet.«

[Sauder: Kommentar zu die Leiden des jungen Werthers (Anm. 7), S. 785]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»Wie froh bin ich, daß ich weg bin! Bester Freund, was ist das Herz des Menschen!«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 197.]


Goethe, Johann Wolfgang: An Sophie von La Roche, 24./28. 8. 1774:

»Was ist liebe Mama, was ist das Herz des Menschen?«

[Goethe, Johann Wolfgang: 140. An Sophie La Roche, 24. und 28. August 1774. In: Briefe. Hg. von Georg Kurscheidt und Elke Richter. Band 21. Berlin 2009, S. 116-117, hier S. 116.]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»am 28. Aug. | […] Heut ist mein Geburtstag, […].«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 241.]


Goethe, Johann Wolfgang: [Titelstrophen für Die Leiden des jungen Werthers]:

»[Zum Ersten Teil] | Jeder Jüngling sehnt sich so zu lieben, | Jedes Mädgen so geliebt zu sein, | Ach, der heiligste von unsern Trieben, | Warum quillt aus ihm die grimme Pein? || [Zum Zweiten Teil] | Du beweinst, du liebst ihn, liebe Seele. | Rettest sein Gedächtnis von der Schmach; | Sieh, dir winkt sein Geist aus seiner Höhle: | Sei ein Mann, und folge mir nicht nach.«

[Goethe, Johann Wolfgang: [Titelstrophen für Die Leiden des jungen Werthers]. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 1.1: Der junge Goethe. 1757-1775 (1). Herausgegeben von Gerhard Sauder. München – Wien 1985, S. 263.]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»Was ich von der Geschichte des armen Werthers nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammlet, und leg es euch hier vor, und weiß, dass ihr mir’s danken werdet. Ihr könnt seinem Geist und seinem Charakter eure Bewunderung und Liebe, und seinem Schicksale eure Tränen nicht versagen. Und du gute Seele, die du eben den Drang fühlst wie er, schöpfe Trost aus seinem Leiden, und laß das Büchlein deinen Freund sein, wenn du aus Geschick oder eigner Schuld keinen nähern finden kannst.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 197.]

»Die ausführliche Geschichte der letzten merkwürdigen Tage unsers Freundes zu liefern, seh ich mich genötiget seine Briefe durch Erzählung zu unterbrechen, wozu ich den Stoff aus dem Munde Lottens, Albertens, seines Bedienten, und anderer Zeugen gesammlet habe.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 276.]

»* Man hat aus Ehrfurcht für diesen trefflichen Mann, gedachten Brief, und einen andern, dessen weiter hinten erwähnt wird, dieser Sammlung entzogen, weil man nicht glaubte, solche Kühnheit durch den wärmsten Dank des Publikums entschuldigen zu können.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 252.]


Laclos: Œuvres complètes:

»Avertissement de l’éditeur | Nous croyons devoir prévenir le Public, que, malgré le titre de cette Ouvrage et ce qu’en dit le Rédacteur dans sa Préface, nous ne garantissons pas l’authenticité de ce Recueil, et que nous avons même de fortes raisons de penser que ce n’est qu’un Roman.«

(Hinweis des Verlegers | Wir glauben die Leserschaft darauf aufmerksam machen zu müssen, dass wir, dem Titel vorliegenden Werkes zum Trotz
und was der Herausgeber in seinem Vorwort dazu auch sagt, für die Authentizität dieser [Brief-]Sammlung nicht geradestehen und sogar starke Gründe haben, sie für nichts als einen Roman zu halten.)

[Laclos, Pierre-Ambroise-François Choderlos de: Les Liaisons dangereuses. In: Laclos: Œuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Laurent Versini. Paris 1979, S. 1-386, hier S. 5.]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»Was mich am meisten neckt, sind die fatalen bürgerlichen Verhältnisse. Zwar weiß ich so gut als einer, wie nötig der Unterschied der Stände ist, wie viel Vorteile er mir selbst verschafft, nur soll er mir nicht eben grad im Wege stehn, wo ich noch ein wenig Freude, einen Schimmer von Glück auf dieser Erden genießen könnte.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 250.]

»Ich liebe die Subordination nicht sehr […].«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 228.]

»Und ich lache über mein eigen Herz – und tu ihm seinen Willen.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 260.]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»[…] Die arme Leonore! Und doch war ich unschuldig! Konnt ich dafür, daß, während die eigensinnigen Reize ihrer Schwester mir einen angenehmen Unterhalt verschafften, daß eine Leidenschaft in dem armen Herzen sich bildete? Und doch – bin ich ganz unschuldig? Hab ich nicht ihre Empfindungen genährt? Hab ich mich nicht an denen ganz wahren Ausdrücken der Natur, die uns so oft zu lachen machten, so wenig lächerlich sie waren, selbst ergötzt! Hab ich nicht – O was ist der Mensch, daß er über sich klagen darf!«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 197.]

»Und ward der Kelch dem Gott vom Himmel auf seiner Menschenlippe zu bitter, warum soll ich groß tun und mich stellen, als schmeckte er mir süße. Und warum sollte ich mich schämen, in dem schröcklichen Augenblick, da mein ganzes Wesen zwischen Sein und Nichtsein zittert, da die Vergangenheit wie ein Blitz über dem finstern Abgrunde der Zukunft leuchtet, und alles um mich her versinkt, und mit mir die Welt untergeht? – Ist es da nicht die Stimme der ganz in sich gedrängten, sich selbst ermangelnden, und unaufhaltsam hinabstürzenden Kreatur, in den innern Tiefen ihrer vergebens aufarbeitenden Kräfte zu knirschen: Mein Gott! Mein Gott! warum hast du mich verlassen?«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 268.]

»Und dann, so eingeschränkt er [der Mensch] ist, hält er doch immer im Herzen das süße Gefühl von Freiheit, und daß er diesen Kerker verlassen kann, wann er will.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 204.]

»Du gibst mir zu wir nennen das eine Krankheit zum Tode, wodurch die Natur so angegriffen wird, daß teils ihre Kräfte verzehrt, teils so außer Würkung gesetzt werden, daß sie sich nicht wieder aufzuhelfen, durch keine glückliche Revolution, den gewöhnlichen Umlauf des Lebens wieder herzustellen fähig ist. | Nun mein Lieber, laß uns das auf den Geist anwenden. Sieh den Menschen an in seiner Eingeschränktheit, wie Eindrücke auf ihn würken, Ideen sich bei ihm fest setzen, bis endlich eine wachsende Leidenschaft ihn aller ruhigen Sinneskraft beraubt, und ihn zu Grunde richtet.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 235.]

»Du fragst, ob Du mir meine Bücher schicken sollst? Lieber, ich bitte dich um Gottes willen, laß mir sie vom Hals! Ich will nicht mehr geleitet, ermuntert, angefeuret sein, braust dieses Herz doch genug aus sich selbst, ich brauche Wiegengesang, und den habe ich in seiner Fülle gefunden in meinem Homer.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 200.]

»Wenn ich denn in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter aussteche, meine Schoten ans Feuer stelle, zudecke und mich dazu setze, sie manchmal umzuschütteln. Da fühl ich so lebhaft, wie die herrlichen übermütigen Freier der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte, als die Züge patriarchalischen Lebens, die ich, Gott sei Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 217.]


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers:

»[…] Noch nie war ich glücklicher, noch nie meine Empfindung an der Natur, bis aufs Steingen, aufs Gräsgen herunter, voller und inniger, und doch – ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, meine vorstellende Kraft ist so schwach, alles schwimmt, schwankt vor meiner Seele, daß ich keinen Umriß packen kann; aber ich bilde mir ein, wenn ich Ton hätte oder Wachs, so wollt ich’s wohl herausbilden, ich werde auch Ton nehmen wenn’s länger währt, und kneten, und sollten’s Kuchen werden! | Lottens Porträt hab ich dreimal angefangen, und habe mich dreimal prostituiert, das mich um so mehr verdrießt, weil ich vor einiger Zeit sehr glücklich im Treffen war, darauf habe ich denn ihren Schattenriß gemacht, und damit soll mir genügen.«

[Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Anm. 9), S. 228.]


Nicolai, Friedrich: Freuden des jungen Werthers:

»Ein junger Mensch ich weiß nicht wie | Starb einst an der Hypochondrie | Und ward denn auch begraben. | Da kam ein schöner Geist herbei | Der hatte seinen Stuhlgang frei | Wie’s denn so Leute haben. | Der setzt notdürftig sich auf’s Grab,| Und legte da sein Häuflein ab, | Beschaute freundlich seinen Dreck, | Ging wohl eratmet wieder weg, | Und sprach zu sich bedächtiglich: | »Der gute Mensch wie hat er sich verdorben! | Hätt er geschissen so wie ich, | Er wäre nicht gestorben![«].«

[Goethe: Sämtliche Werke (Anm. 18), S. 263f.]


Goethe, Johann Wolfgang: ,Auf Nicolai’:

»Mag jener dünkelhafte Mann | Mich als gefährlich preisen; | Der plumpe, der nicht schwimmen kann, | Er will’s dem Wasser verweisen! | Was schiert mich der Berliner Bann, | Geschmäcklerpfaffenwesen! | Und wer mich nicht verstehen kann, | Der lerne besser lesen.«

[Goethe: Sämtliche Werke (Anm. 18), S. 264.]


Goethe, Johann Wolfgang: An Carl Friedrich Zelter (1812):

»Wenn das taedium vitae den Menschen ergreift, so ist er nur zu bedauern, nicht zu schelten. Daß alle Symptome dieser wunderlichen, so natürlichen als unnatürlichen Krankheit auch einmal mein Innerstes durchrast haben, daran läßt Werther wohl niemand zweifeln.«

[Goethe, Johann Wolfgang: An Carl Friedrich Zelter (3. 12. 1812). In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. II. Abteilung: Briefe, Tagebücher und Gespräche. Herausgegeben von Karl Eibl zusammen mit Horst Fleig u. a. Band 7 (34): Napoleonische Zeit. Briefe, Tagebücher und Gespräche vom 10. Mai 1805 bis 6. Juni 1816. Teil II: Von 1812 bis zu Christianes Tod. Herausgegeben von Rose Unterberger. Frankfurt am Main 1994 (Bibliothek deutscher Klassiker101), S. 133.]