Vorlesung: Johann Wolfgang Goethe (SoSe 2017)
Prof. Dr. Albert Meier

Johann Wolfgang Goethe – Römische Elegien / West-östlicher Divan

Goethe hat nur zwei umfangreiche Gedichtzyklen veröffentlicht: die Römischen Elegien (1795) und mehr als zwanzig Jahre später den West-östlichen Divan (1819). Form und Thematik beider Sammlungen unterscheiden sich in hohem Maße.

Erst nach seiner Rückkehr aus Rom im Sommer 1788 beginnt Goethe mit der Schreibarbeit an den Römischen Elegien, welche eine ›Gegenwart in Rom‹ fingieren, die in Weimar nicht mehr gegeben war. Der unter dem Titel Elegien in Friedrich Schillers Zeitschrift Die Horen publizierte Erstdruck umfasst zwanzig Elegien, welche sich inhaltlich mit dem seit der Antike erotisch besetzten Raum ›Rom‹ (Roma ↔ Amor) befassen.

Vier weitere Elegien wurden vor der Veröffentlichung in den Horen gestrichen, da sie als zu pikant und daher anstößig erschienen. Der titelgebende Begriff ›Elegie‹ bezeichnet anders als heute kein ›Klagelied‹, sondern ein aus Distichen (=Hexameter/Pentameter-Paare ohne Reim) bestehendes Gedicht mit zumeist erotischem Inhalt. Goethe orientiert sich dabei an der klassischen Liebesdichtung des antiken Rom (d. h. an den in der fünften Elegie angesprochenen ›Triumvirn‹ Catull, Tibull und Properz; siehe unten).

Ein formales Merkmal der römischen Liebes-Elegie ist das Adressieren der Verse an eine fiktive Geliebte; Goethe wählt dabei den sprechenden Namen ›Faustine‹ (= die Beglückende).

Insgesamt handelt es sich bei den Römischen Elegien nicht um bloße imitatio (= Nachahmung) der antiker Vorbilder; vielmehr stilisiert Goethe seine Elegien so, dass von aemulatio (= Überbietung) gesprochen werden muss: Innovativ ist in diesem Zusammenhang die durchgehende Ironie, die zum einen den nordischen ›Barbaren‹ über »römischen Busen und Leib« herrschen lässt und zum anderen immer wieder das moderne Dichten auf ›klassischem Boden‹ zum Thema macht.

Der in der nachnapoleonischen Friedensperiode ab 1814 entstandene West-östliche Divan (1819) kann als wichtiges Alterswerk Goethes gelten.

Anders als bei den Römischen Elegien distanziert Goethe sich beim persisch inspirierten Divan vom normativen Klassizismus griechisch-römischer Tradition und schafft einen strikt ›modernen‹ Gedichtzyklus, der trotz der überwiegend einfachen Form (meist trochäische Vierzeiler mit Kreuzreimen) im Ganzen komplex komponiert und im Detail raffiniert gestaltet ist.

Die inhaltliche Vielfalt erstreckt sich von banalen Alltagsmotiven über naturwissenschaftliche Phänomene bis hin zur Liebe (das besonders umfangreiche ›Buch Suleika‹ reagiert auf die Neigung Goethes zur 35 Jahre jüngeren Marianne von Willemer).

Die Römischen Elegien und der West-östliche Divan decken sich trotz aller Unterschiede in der Abkehr von der realen Welt hin zu einer freien Gegenwelt der Poesie (»Dichters Lande«), wo »des Dichters reine Hand« sogar Wasser formen kann.

»Amor schüret indes die Lampe und denket der Zeiten, | Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.«

[In: Goethe, Johann Wolfgang: Fünfte Elegie. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 3.2: Italien und Weimar. 1786-1790 (2). Herausgegeben von Hans J. Becker, Hans-Georg Dewitz, Norbert Miller, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Hartmut Reinhardt und Irmtraut Schmid. München – Wien 1990, S. 47.]


Goethe, Johann Wolfgang: Zweite Elegie. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 3.2: Italien und Weimar. 1786-1790 (2). Herausgegeben von Hans J. Becker, Hans-Georg Dewitz, Norbert Miller, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Hartmut Reinhardt und Irmtraut Schmid. München – Wien 1990, S. 39/41, hier S. 41.


Goethe: Zweite Elegie (Anm. 2), S. 41.


Goethe, Johann Wolfgang: Lied und Gebilde. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauer und Edith Zehm. Band 11.1.2: West-östlicher Divan. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Katharina Mommsen und Peter Ludwig. München – Wien 1988, S. 18.

Goethe, Johann Wolfgang: Besserem Verständnis:

»Wer das Dichten will verstehen | Muß in’s Land der Dichtung gehen; | Wer den Dichter will verstehen | Muß in Dichters Lande gehen.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Besserem Verständnis. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauer und Edith Zehm. Band 11.1.2: West-östlicher Divan. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Katharina Mommsen und Peter Ludwig. München – Wien 1988, S. 129-282, hier S. 129.]


Bachmann, Ingeborg: Böhmen liegt am Meer:

»[…] | Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. | Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land. | […].«

[Bachmann, Ingeborg: Böhmen liegt am Meer. In: Bachmann, Ingeborg: Letzte unveröffentlichte Gedichte, Entwürfe und Fassungen. Edition und Kommentar von Hans Holler. Frankfurt am Main 1998, S. 17.]


Goethe, Johann Wolfgang: Besserem Verständnis:

»Da wir bey unseren Betrachtungen vom Standpunkte der Poesie entweder ausgehen oder doch auf denselben zurückkehren, so wird es unsern Zwecken angemessen seyn von genanntem außerordentlichen Manne vorerst zu erzählen, wie er heftig behauptet und betheuert: er sey Prophet und nicht Poet und daher auch sein Koran als göttliches Gesetz und nicht etwa als menschliches Buch, zum Unterricht oder zum Vergnügen, anzusehen. Wollen wir nun den Unterschied zwischen Poeten und Propheten näher andeuten, so sagen wir: beyde sind von einem Gott ergriffen und befeuert, der Poet aber vergeudet die ihm verliehene Gabe im Genuß, um Genuß hervorzubringen, Ehre durch das Hervorgebrachte zu erlangen, allenfalls ein bequemes Leben. Alle übrigen Zwecke versäumt er, sucht mannigfaltig zu seyn, sich in Gesinnung und Darstellung gränzenlos zu zeigen. Der Prophet hingegen sieht nur auf einen einzigen bestimmten Zweck; solchen zu erlangen, bedient er sich der einfachsten Mittel. Irgendeine Lehre will er verkünden und, wie um eine Standarte, durch sie und um sie die Völker versammeln. Hiezu bedarf es nur daß die Welt glaube, er muß also eintönig werden und bleiben. Denn das Mannigfaltige glaubt man nicht, man erkennt es.«

[Goethe: Verständnis (Anm. 5), S. 147f.]


Böttiger, Karl August Böttiger: An Friedrich Schulz:

»Es brennt eine genialische Dichterglut darinnen, und sie stehn in unserer Literatur einzig. Aber alle ehrbaren Frauen sind empört über die bordellmäßige Nacktheit. Herder sagte sehr schön, er habe der Frechheit ein kaiserliches Insiegel aufgedrückt. Die >Horen< müßten nun mit dem u gedruckt werden.« [Böttiger, Karl August Böttiger: An Friedrich Schulz, 27. 7. 1795. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 3.2: Italien und Weimar. 1786-1790 (2). Herausgegeben von Hans J. Becker, Hans-Georg Dewitz, Norbert Miller, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Hartmut Reinhardt und Irmtraut Schmid. München – Wien 1990, S. 450.]


Alxinger, Johann Baptist von: An Karl August Böttiger:

»Properz durfte es laut sagen, daß er eine glückliche Nacht bei seiner Freundin zugebracht habe. Wenn aber Herr von Goethe mit seiner Italienischen Maitresse vor dem ganzen Deutschland in den Horen den con-cubitum exerziert, wer wird das billigen? Das Ärgerliche und Anstößige liegt nicht in der Sache, sondern in der Individualität.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 451.]


Böttiger, Karl August Böttiger: An Friedrich Schulz:

»Die meisten Elegien sind bei seiner Rückkunft im ersten Rausche mit der Dame Vulpius geschrieben. Ergo –«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 450f.]


Schiller, Friedrich: An Charlotte Schiller:

»Er las mir seine Elegien, die zwar schlüpfrig und nicht sehr dezent sind, aber zu den besten Sachen gehören, die er gemacht hat.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 447.]


Goethe, Johann Wolfgang: Erste Elegie:

»Saget Steine mir an, o! sprecht, ihr hohen Paläste. | Straßen redet ein Wort! Genius regst du dich nicht?«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 39.]


Goethe, Johann Wolfgang: Achtzehnte Elegie:

»Darum macht mich Faustine so glücklich, sie teilet das Lager | Gerne mit mir und bewahrt Treue dem Treuen genau.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 69.]


Goethe, Johann Wolfgang: Zweite Elegie:

»Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen Gastes | Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 41.]


Goethe, Johann Wolfgang: Erste Elegie:

»Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe | Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 39.]


Goethe, Johann Wolfgang: Dreizehnte Elegie:

»Das Antike war neu da jene Glückliche lebten, | Lebe glücklich und so lebe die Vorzeit in dir. | Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß dir ihn geben | Und den höheren Styl lehret die Liebe dich nur.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 59.]


Goethe, Johann Wolfgang: Fünfte Elegie:

»Froh empfind’ ich mich nun auf klassischem Boden begeistert, | Lauter und reizender spricht Vorwelt und Mitwelt zu mir. | Ich befolge den Rat, durchblättre die Werke der Alten | Mit geschäftiger Hand täglich mit neuem Genuß. | Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt, | Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt vergnügt. | Und belehr ich mich nicht? wenn ich des lieblichen Busens | Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab. | Dann versteh ich erst recht den Marmor, ich denk’ und vergleiche, | Sehe mit fühlendem Aug’, fühle mit sehender Hand. | […] | Oftmals hab’ ich auch schon in ihren Armen gedichtet | Und des Hexameters Maß, leise, mit fingernder Hand, | Ihr auf den Rücken gezählt, sie atmet in lieblichem Schlummer | Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins tiefste die Brust. | Amor schüret indes die Lampe und denket der Zeiten, | Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 47.]


Goethe, Johann Wolfgang: Neunzehnte [XXI] Elegie:

»Wie sich die Jünglinge freuten! Merkur und Bacchus! Sie beide | Mußten gestehen, es sei über
dem Busen [zwischen den Schenkeln] zu ruhn | Dieses herrlichen Weibes ein schöner Gedanke
[…].«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 73 [72].]


Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke:

»Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors | Und des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 79.]


Goethe, Johann Wolfgang: Elegie IV:

»Hinten im Winkel des Gartens da stand ich, der letzte der Götter | Rohgebildet, und schlimm hatte die Zeit mich verletzt. | Kürbisranken schmiegten sich auf am veralteten Stamme, | Und schon krachte das Glied unter den Lasten der Frucht. | Dürres Gereisig neben mir an, dem Winter gewidmet, | Den ich hasse denn er schickt mir die Raben aufs Haupt | Schändlich mich zu besudeln; der Sommer sendet die Knechte | Die sich entladende frech zeigen das rohe Gesäß. | Unflat oben und unten! ich mußte fürchten ein Unflat | Selber zu werden, ein Schwamm, faules verlorenes Holz. | Nun, durch deine Bemühung, o! redlicher Künstler gewinn ich | Unter Göttern den Platz der mir und andern gebührt. | Wer hat Jupiters Thron, den schlechterworbnen, befestigt? | Farb und Elfenbein, Marmor und Erz und Gedicht. | Gern erblicken mich nun verständige Männer und denken | Mag sich jeder sogern wie es der Künstler gedacht. | Nicht das Mädchen entsetzt sich vor mir, und nicht die Matrone, | Häßlich bin ich nicht mehr, bin ungeheuer nur stark. | Dafür soll dir denn auch halbfußlang die prächtige Rute | Strotzen vom Mittel herauf, wenn es die Liebste gebeut, | Soll das Glied nicht ermüden als bis ihr die Dutzend Figuren | Durchgenossen wie sie künstlich Philaenis erfand.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 81f.]


Goethe, Johann Wolfgang: Siebente Elegie:

»O wie fühl’ ich in Rom mich so froh! Gedenk ich der Zeiten, | Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing, | Trübe der Himmel und schwer auf meinen Scheitel sich neigte, | Farb’ und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag, | Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes | Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank. | Nun umleuchtet der Glanz des hellen Äthers die Stirne, | Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor. | Sternenhelle glänzet die Nacht, sie klingt von Gesängen |Und mir leuchtet der Mond heller als ehmals der Tag. | Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum’ ich? Empfänget | Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast? | Ach! hier lieg’ ich und strecke nach deinen Knieen die Hände | Flehend aus. O! vernimm Jupiter Xenius mich! | Wie ich hereingekommen, ich kanns nicht sagen, es faßte | Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran. | Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten? | Irrte die Schöne? Vergib! Laß mir des Irrtums Gewinn! | Deine Tochter Fortuna sie auch! die herrlichsten Gaben | Teilet sie mädchenhaft aus, wie es die Laune gebeut. | Bist du der wirtliche Gott o so verstoße den Gastfreund | Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab. | ›Dichter! wo versteigst du dich hin?‹ – Vergib mir, der hohe | Capitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp. | Dulde mich Jupiter hier und Hermes führe mich später | Die Pyramide vorbei leise zum Orcus hinab.«

[Goethe: Italien und Weimar (Anm. 8), S. 51/52.]


Goethe, Johann Wolfgang: An Friedrich von Stein, 16. Februar 1788:

»Vor einigen Abenden, da ich traurige Gedanken hatte, zeichnete ich mein Grab bei der Pyramide des Cestius.«

[Goethe, Johann Wolfgang: 142. An Friedrich von Stein 16. Februar 1788. In: Goethes Werke. Goethes Briefe. 18. September 1786- 10. Juni]


Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke:

»GETRETNER Quark | Wird breit, nicht stark.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 63.]


»ZUM KESSEL sprach der neue Topf: | Was hast du einen schwarzen Bauch! – | Das ist bey uns nun Küchgebrauch. | Herbey, herbey du glatter Tropf, | Bald wird dein Stolz sich mindern. | Behält der Henkel ein klar Gesicht, | Darob erhebe du dich nicht | Besieh nur deinen Hintern.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 109.]


Schlegel, Friedrich: Gespräch über die Poesie:

»Im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen, und wenn wir erst aus der Quelle schöpfen können, so wird uns vielleicht der Anschein von südlicher Glut, der uns jetzt in der spanischen Poesie so reizend ist, wieder nur abendländisch und sparsam erscheinen.«

[Schlegel, Friedrich: Gespräch über die Poesie. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Herausgegeben von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Zweiter Band. Erste Abteilung: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801). Herausgegeben und eingeleitet von Hans Eichner. München – Paderborn –Wien – Zürich 1967, S. 284-351, hier S. 320.]


Goethe, Johann Wolfgang: Besserem Verständnis:

»Wir wissen die Dichtart der Orientalen zu schätzen, wir gestehen ihnen die größten Vorzüge zu, aber man vergleiche sie mit sich selbst, man ehre sie in ihrem eignen Kreise, und vergesse doch dabey, daß es Griechen und Römer gegeben.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 189.]


»Der höchste Charakter orientalischer Dichtkunst ist, was wir Deutsche Geist nennen, das Vorwaltende des oberen Leitenden; hier sind alle übrige Eigenschaften vereinigt, ohne daß irgend eine, das eigenthümliche Recht behauptend, hervorträte. Der Geist gehört vorzüglich dem Alter, oder einer alternden Weltepoche. Übersicht des Weltwesens, Ironie, freyen Gebrauch der Talente finden wir in allen Dichtern des Orients.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 170.]


Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke:

»NÄRRISCH, daß jeder in seinem Falle | Seine besondere Meynung preist! | Wenn Islam Gott ergeben heißt, | Im Islam leben und sterben wir alle.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 61.]


Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke:

»Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden. Schon ist er im Orient angelangt. Er freut sich an Sitten, Gebräuchen, an Gegenständen, religiösen Gesinnungen und Meinungen, ja er lehnt den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sei. In solchen allgemeinen Verhältnissen ist sein eignes Poetisches verwebt, und Gedichte dieser Art bilden das erste Buch unter der Rubrik Moganiname, Buch des Dichters

[Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauer und Edith Zehm. Band 11.2: Divan-Jahre. 1814-1819. Herausgegeben von Johannes John, Hans J. Becker, Gerhard H. Müller, John Neubauer und Irmtraut Schmid. München – Wien 1988, S. 208f.]


Goethe, Johann Wolfgang: Hegire [v. 1-12]:

»Nord und West und Süd zersplittern, | Throne bersten, Reiche zittern, | Flüchte du, im reinen Osten | Patriarchenluft zu kosten, | Unter Lieben, Trinken, Singen, | Soll dich Chisers Quell verjüngen. || Dort im Reinen und im Rechten, | Will ich menschlichen Geschlechten | In des Ursprungs Tiefe dringen, | Wo sie noch von Gott empfingen | Himmelslehr’ in Erdesprachen, | Und sich nicht den Kopf zerbrachen.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 9.]


Goethe, Johann Wolfgang: Lied und Gebilde:

»Mag der Grieche seinen Thon | Zu Gestalten drücken, | An der eignen Hände Sohn | Steigern sein Entzücken; || Aber uns ist wonnereich | In den Euphrat greifen, | Und im flüßgen Element | Hin und wieder schweifen. || Löscht ich so der Seele Brand | Lied es wird erschallen; | Schöpft des Dichters reine Hand | Wasser wird sich ballen.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 18.]


Goethe, Johann Wolfgang: Phaenomen:

»Wenn zu der Regenwand | Phoebus sich gattet, | Gleich steht ein Bogenrand | Farbig beschattet. || Im Nebel gleichen Kreis | Seh ich gezogen, | Zwar ist der Bogen weiß, | Doch Himmelsbogen. || So sollst du, muntrer Greis, | Dich nicht betrüben. | Sind gleich die Haare weiß, | Doch wirst du lieben.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 15.]


Goethe, Johann Wolfgang: Tag- und Jahres-Hefte:

»Schon im vorigen Jahre waren mir die sämtlichen Gedichte Hafis in der von Hammerschen Übersetzung zugekommen, und wenn ich früher den hier und da in Zeitschriften übersetzt mitgeteilten einzelnen Stücken dieses herrlichen Poeten nichts abgewinnen konnte, so wirkten sie doch jetzt zusammen desto lebhafter auf mich ein, und ich mußte mich dagegen produktiv verhalten, weil ich sonst vor der mächtigen Erscheinung nicht hätte bestehen können. […] Alles was dem Stoff und dem Sinne nach bei mir Ähnliches verwahrt und gehegt worden, tat sich hervor, und dies mit um so mehr Heftigkeit als ich höchst nötig fühlte mich aus der wirklichen Welt, die sich selbst offenbar und im Stillen bedrohte, in eine ideelle zu flüchten […].«

[Goethe, Johann Wolfgang: Tag- und Jahres-Hefte als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 14: Autobiographische Schriften der frühen Zwanziger Jahre. Herausgegeben von Reiner Wild. München – Wien 1986, S. 7-323, hier S. 239.]


Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke:

»LOCKEN! haltet mich gefangen | In dem Kreise des Gesichts! | Euch geliebten braunen Schlangen | Zu erwiedern hab` ich nichts. || Nur dies Herz es ist von Dauer, | Schwillt in jugendlichstem Flor; | Unter Schnee und Nebelschauer | Rast ein Aetna dir hervor. || Du beschämst wie Morgenröthe | Jener Gipfel ernste Wand, | Und noch einmal fühlet Hatem | Frühlingshauch und Sommerbrand. || Schenke her! Noch eine Flasche! | Diesen Becher bring ich Ihr! | Findet sie ein Häufchen Asche, | Sagt sie: der verbrannte mir.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 79f.]


Goethe, Johann Wolfgang: Gingo Biloba:

»Dieses Baum’s Blatt, der von Osten | Meinem Garten anvertraut, | Giebt geheimen Sinn zu kosten | Wie’s den Wissenden erbaut. || Ist es Ein lebendig Wesen? | Das sich in sich selbst getrennt, | Sind es zwey? die sich erlesen, | Daß man sie als Eines kennt. || Solche Frage zu erwiedern | Fand ich wohl den rechten Sinn; | Fühlst du nicht an meinen Liedern | Daß ich Eins und doppelt bin?«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 71.]


Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen:

»Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller, Gerhard Sauder und Edith Zehm. Band 17: Wilhelm Meisters Wanderjahre / Maximen und Reflexionen. Herausgegeben von Gonthier-Louis Fink, Gerhart Baumann und Johannes John. München – Wien 1991, S. 767.]


Goethe, Johann Wolfgang: Besserem Verständnis:

»[…] und so öffnet sich den jüngern Freunden des Orients eine Pforte nach der andern, um die Geheimnisse jener Urwelt, die Mängel einer seltsamen Verfassung und unglücklichen Religion sowie die Herrlichkeit der Poesie kennenzulernen, in die sich reine Menschheit, edle Sitte, Heiterkeit und Liebe flüchtet, um uns über Kastenstreit, phantastische Religionsungeheuer und abstrusen Mystizismus zu trösten und zu überzeugen, daß doch zuletzt in ihr das Heil der Menschheit aufbewahrt bleibe.«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 252.]


Goethe, Johann Wolfgang: Derb und tüchtig [v. 1-4]:

»Dichten ist ein Übermuth, | Niemand schelte mich! | Habt getrost ein warmes Blut | Froh und frey wie ich. | […].«

[Goethe: Divan (Anm. 5), S. 19. 38]