Vorlesung: Johann Wolfgang Goethe (SoSe 2017)
Prof. Dr. Albert Meier

Johann Wolfgang Goethe – Römische Ästhetik

Die Italienreise 1786-88 markiert den entscheidenden Wendepunkt in Goethes künstlerischem Schaffen: Die in Rom entwickelte Kunstauffassung begründet das um 1800 gemeinsam mit Friedrich Schiller propagierte Projekt eines neuen Klassizismus für Deutschland (›Weimarer Klassik‹).

Dieser Neuklassizismus beruht in der Hauptsache auf Karl Philipp Moritz’ Definition der ›Schönheit‹ als ›in sich selbst vollendetem‹, daher keiner Funktion bedürftigem Kontrapunkt des ›Nützlichen‹, die einerseits auf Johann Joachim Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) zurückgeht und andererseits in Immanuel Kants Critik der Urtheilskraft (1790) weitergeführt worden ist (›Zweckmäßigkeit ohne Zweck‹, ›interesseloses Wohlgefallen‹, Schönheit als ›Symbol des Sittlichen‹). Zum Nachlesen finden Sie unten entsprechende Zitate von Moritz, Winckelmann und Kant.

An J. H. W. Tischbeins Gemäldes Goethe in der Campagna (1787) sind die vier Merkmale des Klassizismus gut zu erkennen: Ganzheitlichkeit, Schlichtheit, Mäßigkeit und Musterhaftigkeit.

Dass das linke Bein entschieden zu lang geraten ist und der Oberkörper sich extrem gerade hält, ist nicht als Unvermögen des Malers zu erklären, sondern als bewusste ›Unnatürlichkeit‹ im Interesse des harmonischen Gesamteindrucks.

Goethe in der römischen Campagna (Johann Heinrich Wilhelm Tischbein)

Goethes Propyläen (1798-1800), die erste ›Kunstzeitschrift‹ im deutschen Sprachraum, ist als Sprachrohr der W.K.F. (›Weimarer Kunstfreunde‹: neben Goethe insbesondere Schiller, Wilhelm von Humboldt und Johann Heinrich Meyer) zum Zweck einer ästhetischen Gegenreformation (oder gar Konterrevolution) gegen den dominanten Zeitgeschmack des allzu ›Natürlichen‹.

Zentral ist daher das Axiom, die Kunst strikt von der Natur zu unterscheiden: Ein wahres Kunstwerk entsteht folglich in idealisierender Nachahmung natürlicher Gegebenheiten, wobei diese Stilisierung aber auf rein ästhetischen Gesetzmäßigkeiten beruht.

In der knappen Abhandlung Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Styl (1789) hat Goethe gleich nach seiner Rückkehr aus Italien die kunsttheoretische Konzeption formuliert: Während die ›einfache Nachahmung‹ so objektiv/präzis wie möglich ist, gestaltet die ›Manier‹ die objektive Natur nach subjektiven Vorstellungen um; als die höchste Form der Kunst bedeutet ›Stil‹ demgegenüber die dialektische Einheit von Objektivität und Subjektivität, d. h. eine Objektivität zweiten Grades, die durch menschliche Stilisierung geistig überhöht ist. Nur die höchste Kunst als ›Stil‹ ist echte Kunst: Sie muss so geformt sein, dass sie »natürlich zugleich und übernatürlich erscheint«. (Auszüge aus der Abhandlung unten bei »Zitate«.)

Für allen Klassizismus elementar ist dabei die Annahme, dass jede Vermischung unterschiedlicher Kunstgattungen den ästhetischen Verfall bedeutet, da jede Kunst für sich ureigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, die für andere Künste so nicht gelten.

Schiller sowie auch Goethe wenden sich um 1800 mit aller Macht gegen die in ihren Augen triviale Mode des ›Naturalismus‹, der zufolge ein Kunstwahrnehmung so naturähnlich beschaffen sein soll, dass es mit der Lebenswelt verwechselt werden könnte.

Goethe, Johann Wolfgang: Einleitung [in die Propyläen]. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 6.2: Weimarer Klassik 1798 1806 (2). Herausgegeben von Victor Lange, Hans J. Becker, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Peter Schmidt und Edith Zehm. München – Wien 1988, S. 9-26, hier S. 13.


Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Goethe_in_der_Campagna

Goethe, Johann Wolfgang: An Johann Gottfried Herder, 5. 6. 1788

»[Rom,] da wo ich in meinem Leben das erstemal unbedingt glücklich war.«

[Goethe, Johann Wolfgang: An Johann Gottfried Herder, 5. Juni 1788. In: Briefe. Hg. von Georg Kurscheidt und Elke Richter. Band 21. Berlin 2009.]


Goethe, Johann Wolfgang: Zur Morphologie

»Aus Italien dem formreichen war ich in das gestaltlose Deutschland zurückgewiesen, heiteren Himmel mit einem düsteren zu vertauschen; die Freunde, statt mich zu trösten und wieder an sich zu ziehen, brachten mich zur Verzweiflung. Mein Entzücken über entfernteste, kaum bekannte Gegenstände, mein Leiden, meine Klagen über das Verlorne schien sie zu beleidigen, ich vermißte jede Teilnahme, niemand verstand meine Sprache.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Zur Morphologie. Von Goethe. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 12: Zur Naturwissenschaft überhaupt, besonders zur Morphologie. Erfahrung, Betrachtung, Folgerung, durch Lebensereignisse verbunden. Herausgegeben von Hans J. Becker, Gerhard H. Müller, John Neubauer und Peter Schmidt. München – Wien 1989, S. 9-384, hier S. 69.]


Johann Winckelmann, Präsidentens der Alterthümer zu Rom

»Die Natur, nach dem sie stuffenweis durch Kälte und Hitze gegangen, hat sich in Griechenland, wo eine zwischen Winter und Sommer abgewogene Witterung ist, wie in ihrem Mittelpuncte gesetzt, und je mehr sie sich demselben nähert, desto heiterer und fröhlicher wird sie […].«

[Johann Winckelmann, Präsidentens der Alterthümer zu Rom, und Scrittore der Vaticanischen Bibliothek, Mitglieds der Königl. Englischen Societät der Alterthümer zu London, der Maleracademie von St. Luca zu Rom, und der Hetrurischen zu Cortona, Geschichte der Kunst des Alterthums. Erster Theil. Mit Königl. Pohlnisch= und Churfürstl. Sächs. allergnädigsten Privilegio. Dresden, 1764. In der Waltherischen Hof=Buchhandlung, S. 128f.]


»[…] glaube ich berechtigt zu seyn, den Begriff eines Römischen Stils in der Kunst, in so weit unsere itzigen Kenntnisse gehen, für eine Einbildung zu halten.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 293.]


»[…] aus dieser ganzen Geschichte erhellet, daß es die Freyheit gewesen, durch welche die Kunst empor gebracht wurde.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 316.]


»Die Schönheit, als der höchste Entzweck, und als der Mittelpunct der Kunst […].«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 142.]


»Die Schönheit wird durch den Sinn empfunden, aber durch den Verstand erkannt und begriffen, wodurch jener mehrentheils weniger empfindlicher auf alles, aber richtiger gemacht wird und werden soll.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 147.]


»Nach diesem Begriff soll die Schönheit seyn, wie das vollkommenste Wasser aus dem Schooße der Quelle geschöpfet, welches, je weniger Geschmack es hat, desto gesunder geachtet wird, weil es von allen fremden Theilen geläutert ist.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 150.]


»Die Natur aber und das Gebäude der schönsten Körper ist selten ohne Mängel, und hat Formen oder Theile, die sich in andern Körpern vollkommener finden oder denken lassen, und dieser Erfahrung gemäß verfuhren diese weisen Künstler, wie ein geschickter Gärtner, welcher verschiedene Absenker von edlen Arten auf einen Stamm pfropfet; und wie eine Biene aus vielen Blumen sammlet, so blieben die Begriffe der Schönheit nicht auf das Individuelle einzelne Schöne eingeschränkt, […], sondern sie suchten das Schöne aus vielen schönen Körpern zu vereinigen. Sie reinigten ihre Bilder von aller persönlichen Neigung, welche unsern Geist von dem wahren Schönen abziehet.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 154.]


»Da im vorigen Jahrhunderte eine schädliche Seuche in Italien, so wie in allen Ländern, wo Wissenschaften geübet werden, überhand nahm, welche das Gehirn der Gelehrten mit üblen Dünsten anfüllete, und ihr Geblüt in eine fiebermäßige Wallung brachte, woraus der Schwulst und ein mit Mühe gesuchter Witz in der Schreibart entstand, zu eben der Zeit kam eben die Seuche auch unter die Künstler. Giuseppe Arpino, Bernini und Borromini verließen in der Malerey, Bildhauerey und Baukunst die Natur und das Alterthum, so wie es Marino und andere in der Dichtkunst thaten.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 159f.]


»Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebauet, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrift alle andere Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysien, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend, und spielet mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäude seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten, und versuche ein Schöpfer einer Himmlischen Natur zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die Menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern ein Himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strohm ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet. Er hat den Python, wider welchen er zuerst seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreichet und erleget. Von der Höhe seiner Genugsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Verachtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüssen seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebet, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehret, nähert er sich nicht der Größe, in welcher er sich dem Verstande des Göttlichen Dichters offenbarete, wie hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten der übrigen Götter treten hier, wie bey der Pandora, in Gemeinschaft zusammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttinn der Weisheit schwanger ist, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königinn der Göttinnen mit Großheit gewölbet, und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wollüste eingeflößet. Sein weiches Haar spielet, wie die zarten und flüßigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es scheinet gesalbet mit dem Oel der Götter, und von den Gratien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden. Ich vergesse alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerks der Kunst, und ich nehme selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würdigkeit anzuschauen. Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und zu erheben, wie diejenigen, die ich wie vom Geiste der Weißagung aufgeschwellet sehe, und ich fühle mich weggerückt nach Delos und in die Lycischen Hayne, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart beehrete: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalions Schönheit. Wie ist es möglich, es zu malen und zu beschreiben. Die Kunst selbst müßte mir rathen, und die Hand leiten, die ersten Züge, welche ich hier entworfen habe, künftig auszuführen. Ich lege den Begriff, welchen ich von diesem Bilde gegeben habe, zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche sie krönen wollten, nicht erreichen konnten.«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 392-394.]


Winckelmann, Johann Joachim: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke

»Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem Griechischen Himmel zu bilden.«

[Winckelmann, Johann Joachim: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst. In: Winckelmann, Johann Joachim: Kleine Schriften. Vorreden – Entwürfe. Herausgegeben von Walther Rehm. Mit einer Einleitung von Hellmut Sichtermann. Berlin 1968, S. 27-59, hier S. 29.]


»Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grösse, so wohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bey allen Leidenschaften eine grosse und gesetzte Seele.«

[Winckelmann: Gedancken (Anm. 13), S. 43.]


»Der eintzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand vom Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunst-Wercken der Alten, sonderlich der Griechen«

[Winckelmann: Gedancken (Anm. 13), S. 29f.]


Johann Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer zu Rom

»Da nun die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschicket, folglich sich empfindlicher macht, so wird auch ein schöner Körper desto schöner seyn, je weißer er ist […].«

[Winckelmanns Präsidentens der Alterthümer (Anm. 4), S. 147f.]


Moritz, Karl Philipp: Reisen eines Deutschen in Italien

»Denn das leuchtet bei den Kunstwerken der Alten, auch immer noch aus der mittelmäßigsten Arbeit hervor, daß die einzelnen Teile immer untergeordnet blieben, und daß jedes mit einem beständigen Blick auf das Ganze bearbeitet wurde.«

[Moritz, Karl Philipp: Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788. In: Moritz, Karl Philipp: Werke in zwei Bänden. Herausgegeben von Heide Hollmer und Albert Meier. Band 2: Popularphilosophie, Reisen, Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main 1997 (Bibliothek deutscher Klassiker 145), S. 411-847, hier S. 662.]


»Ich betrachte die Uhr und das Messer nur mit Vergnügen, in so ferne ich sie brauchen kann, und brauche sie nicht, damit ich sie betrachten kann. | Bei dem Schönen ist es umgekehrt. Dieses hat seinen Zweck nicht außer sich, und ist nicht wegen der Vollkommenheit von etwas anderm, sondern wegen seiner eignen innern Vollkommenheit da. Man betrachtet es nicht, in so fern man es brauchen kann, sondern man braucht es nur, in so fern man es betrachten kann.«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 944f.]


»Ein Ding kann also nicht deswegen schön sein, weil es uns Vergnügen macht, sonst müßte auch alles Nützliche schön sein; sondern was uns Vergnügen macht, ohne eigentlich zu nützen, nennen wir schön.«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 946.]


»Nun kann aber das Unnütze oder Unzweckmäßige unmöglich einem vernünftigen Wesen Vergnügen machen. Wo also bei einem Gegenstande ein äußerer Nutzen oder Zweck fehlt, da muß dieser in dem Gegenstande selbst gesucht werden, sobald derselbe mir Vergnügen erwecken soll; oder: ich muß in den einzelnen Teilen desselben so viel Zweckmäßigkeit finden, daß ich vergesse zu fragen, wozu nun eigentlich das Ganze soll

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 946.]


»Wir können also das Schöne im Allgemeinen auf keine andre Weise erkennen, als in so fern wir es dem Nützlichen entgegenstellen, und es davon so scharf wie möglich unterscheiden.«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 966.]


»Eine Sache wird nehmlich dadurch noch nicht schön, daß sie nicht nützlich ist, sondern dadurch, daß sie nicht nützlich zu sein braucht.«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 966.]


»Hieraus sehen wir also, daß eine Sache, um nicht nützlich sein zu dürfen, notwendig ein für sich bestehendes Ganze sein müsse, und daß also mit dem Begriff des Schönen der Begriff von einem für sich bestehenden ganzen unzertrennlich verknüpft ist.«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 967.]


»Zu dem Begriff des Schönen, welches uns daraus entsprungen ist, daß es nicht nützlich zu sein braucht, gehört also noch, daß es nicht nur oder nicht sowohl, ein für sich bestehendes Ganze wirklich sei, als vielmehr nur wie ein für sich bestehendes Ganze, in unsre Sinne fallen, oder von unsrer Einbildungskraft umfaßt werden [könne].«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 967.]


»Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers, ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im großen Ganzen der Natur; welche das noch mittelbar durch die bildende Hand des Künstlers nacherschafft, was unmittelbar nicht in ihren großen Plan gehörte.«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 969.]


»Und von sterblichen Lippen, läßt sich kein erhabneres Wort vom Schönen sagen, als: es ist!«

[Moritz: Reisen (Anm. 17), S. 991.]


Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft

»§ 2 | Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ist ohne alles Interesse.«

[Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Mit einer Einleitung und Bibliographie herausgegeben von Heiner F. Klemme. Mit Sachanmerkungen von Piero Giordanetti. Hamburg 2001 (Philosophische Bibliothek 507), S. 49.]


»Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird.«

[Kant: Kritik (Anm. 27), S. 93.]


Goethe, Johann Wolfgang: Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Styl

»Wenn ein Künstler, bei dem man das natürliche Talent voraussetzen muß, in der frühsten Zeit, nachdem er nur einigermaßen Auge und Hand an Mustern geübt, sich an die Gegenstände der Natur wendete, mit Treue und Fleiß ihre Gestalten, ihre Farben, auf das genaueste nachahmte, sich gewissenhaft niemals von ihr entfernte, jedes Gemälde das er zu fertigen hätte wieder in ihrer Gegenwart anfinge und vollendete; ein solcher würde immer ein schätzenswerter Künstler sein; denn es könnte ihm nicht fehlen daß er in einem unglaublichen Grade wahr würde, daß seine Arbeiten sicher, kräftig und reich sein müßten.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Styl. In: Goethe, Johann Wolfgang: Auszüge aus einem Reise-Journal. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 3.2: Italien und Weimar. 1786-1790. Teil 2. Herausgegeben von Hans J. Becker, Hans-Georg Dewitz, Norbert Miller, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Hartmut Reinhardt und Irmtraud Schmid. München – Wien 1990, S. 186-191, hier S. 187.]


»Allein gewöhnlich wird dem Menschen eine solche Art zu verfahren [›einfache Nachahmung‹] zu ängstlich, oder nicht hinreichend. Er sieht eine Übereinstimmung vieler Gegenstände, die er nur in ein Bild bringen kann indem er das Einzelne aufopfert; es verdrießt ihn, der Natur ihre Buchstaben im Zeichnen nur gleichsam nachzubuchstabieren; er erfindet sich selbst eine Weise, macht sich selbst eine Sprache, um das, was er mit der Seele ergriffen, wieder nach seiner Art auszudrücken, einem Gegenstande den er öfters wiederholt hat eine eigne bezeichnende Form zu geben, ohne, wenn er ihn wiederholt, die Natur selbst vor sich zu haben, noch auch sich geradezu ihrer ganz lebhaft zu erinnern. Nun wird es eine Sprache, in welcher sich der Geist des Sprechenden unmittelbar ausdrückt, und bezeichnet. Und wie die Meinungen über sittliche Gegenstände sich in der Seele eines jeden der selbst denkt, anders reihen und gestalten: so wird auch jeder Künstler dieser Art, die Welt anders sehen, ergreifen und nachbilden, er wird ihre Erscheinungen, bedächtiger oder leichter fassen, er wird sie gesetzter oder flüchtiger wieder hervorbringen.«

[Goethe: Nachahmung (Anm. 29), S. 187f.]


»Gelangt die Kunst durch Nachahmung der Natur, durch Bemühung sich eine eigene Sprache zu machen, durch genaues und tiefes Studium der Gegenstände selbst, endlich dahin, daß sie die Eigenschaften der Dinge und die Art wie sie bestehen genau und immer genauer kennen lernt, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht und die verschiedenen charakteristischen Formen neben einander zu stellen und nachzuahmen weiß: dann wird der Styl der höchste Grad wohin sie gelangen kann; der Grad, wo sie sich den höchsten menschlichen Bemühungen gleichstellen darf.«

[Goethe: Nachahmung (Anm. 29), S. 188.]


»Wie die einfache Nachahmung auf dem ruhigen Dasein und einer liebevollen Gegenwart beruhet, die Manier eine Erscheinung mit einem leichten fähigen Gemüt ergreift, so ruht der Styl auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, in so fern uns erlaubt ist es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen.«

[Goethe: Nachahmung (Anm. 29), S. 188.]


Goethe, Johann Wolfgang: Einleitung [in die Propyläen]

»Der Jüngling, wenn Natur und Kunst ihn anziehen, glaubt, mit einem lebhaften Streben, bald in das innerste Heiligtum zu dringen; der Mann bemerkt, nach langem Umherwandeln, daß er sich noch immer in den Vorhöfen befinde. | Eine solche Betrachtung hat unsern Titel veranlaßt. Stufe, Tor, Eingang, Vorhalle, der Raum zwischen dem Innern und Äußern, zwischen dem Heiligen und Gemeinen kann nur die Stelle sein, auf der wir uns mit unsern Freunden gewöhnlich aufhalten werden.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Einleitung [in die Propyläen]. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 6.2: Weimarer Klassik 1798-1806 (2). Herausgegeben von Victor Lange, Hans J. Becker, Gerhard H. Müller, John Neubauer, Peter Schmidt und Edith Zehm. München – Wien 1988, S. 9-26, hier S. 9. 34]


»Die Natur ist von der Kunst durch eine ungeheure Kluft getrennt, welche das Genie selbst, ohne äußere Hülfsmittel, zu überschreiten nicht vermag.«

[Goethe: Propyläen (Anm. 33), S. 13.]


»Alles, was wir um uns her gewahr werden, ist nur roher Stoff, und wenn sich das schon selten genug ereignet, daß ein Künstler durch Instinkt und Geschmack, durch Übung und Versuche, dahin gelangt, daß er den Dingen ihre äußere schöne Seite abzugewinnen, aus dem vorhandenen Guten das Beste auszuwählen, und wenigstens einen gefälligen Schein hervorzubringen lernt; so ist es, besonders in der neuern Zeit, noch viel seltner, daß ein Künstler sowohl in die Tiefe der Gegenstände, als in die Tiefe seines eignen Gemüts zu dringen vermag, um in seinen Werken nicht bloß etwas leicht- und oberflächlich wirkendes, sondern, wetteifernd mit der Natur, etwas geistischorganisches hervorzubringen, und seinem Kunstwerk einen solchen Gehalt, eine solche Form zu geben, wodurch es natürlich zugleich und übernatürlich erscheint.«

[Goethe: Propyläen (Anm. 33), S. 13.]


»Indem der Künstler irgend einen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen: daß der Künstler ihn in diesem Augenblicke erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante, abgewinnt, oder vielmehr erst den höhern Wert hineinlegt.«

[Goethe: Propyläen (Anm. 33), S. 17.]


»Auf diese Weise werden der menschlichen Gestalt die schönern Proportionen, die edlern Formen, die höhern Charaktere gleichsam erst aufgedrungen, der Kreis der Regelmäßigkeit, Vollkommenheit, Bedeutsamkeit und Vollendung wird gezogen, in welchem die Natur ihr Bestes gerne niederlegt, wenn sie übrigens, in ihrer großen Breite, leicht in Häßlichkeit ausartet und sich ins Gleichgültige verliert.«

[Goethe: Propyläen (Anm. 33), S. 17.]


»Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalles der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben.«

[Goethe: Propyläen (Anm. 33), S. 20.]


Goethe, Johann Wolfgang: Über Laokoon

»Jedes Kunstwerk muß sich als ein solches anzeigen, und das kann es allein durch das, was wir sinnliche Schönheit oder Anmut nennen. Die Alten, weit entfernt von dem modernen Wahne, daß ein Kunstwerk dem Scheine nach wieder ein Naturwerk werden müsse, bezeichneten ihre Kunstwerke als solche, durch gewählte Ordnung der Teile, sie erleichterten dem Auge die Einsicht in die Verhältnisse durch Symmetrie, und so ward ein verwickeltes Werk faßlich. Durch eben diese Symmetrie und durch Gegenstellungen wurden in leisen Abweichungen die höchsten Kontraste möglich.«

[Goethe, Johann Wolfgang: Über Laokoon. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 4.2: Wirkungen der Französischen Revolution 1791-1797 / 2. Herausgegeben von Klaus H. Kiefer u. a. München – Wien 1986, S. 73-88, hier S. 77.]


»Anmut. Der Gegenstand aber und die Art ihn vorzustellen, sind den sinnlichen Kunstgesetzen unterworfen, nämlich der Ordnung, Faßlichkeit, Symmetrie, Gegenstellung etc. wodurch er für das Auge schön, das heißt, anmutig wird. | Schönheit. Ferner ist er dem Gesetz der geistigen Schönheit unterworfen, die durch das Maß entsteht, welchem der, zur Darstellung oder Hervorbringung des Schönen, gebildete Mensch alles, sogar die Extreme, zu unterwerfen weiß.«

[Goethe: Laokoon (Anm. 39), S. 74.]


Schiller, Friedrich: Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie

»Die Einführung des Chors wäre der letzte, der entscheidende Schritt − und wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären, so sollte er uns eine lebendige Mauer sein, die die Tragödie um sich herumzieht, um sich von der wirklichen Welt rein abzuschließen, und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit zu bewahren.«

[Schiller, Friedrich: Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie. In: Schiller, Friedrich: Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder. Ein Trauerspiel mit Chören. Herausgegeben von Matthias Luserke. Stuttgart 1996 (rub 60), S. 5-16, hier S. 10.]