Vorlesung: Die Literatur des 19. Jahrhunderts (SoSe 2016)
Prof. Dr. Albert Meier

Joseph von Eichendorff

Joseph von Eichendorffs Dichtung kann als Inbegriff von Romantik gelten. Seine immer in bewusst ›schlichter‹ Sprache gehaltene Lyrik arbeitet konsequent mit den romantischen Gemeinplätzen, d. h. sie kontrastiert Zivilisation und Natur, um die Erfahrung von ›Sehnsucht‹ zu provozieren.

Motive und Verfahrensweisen der eichendorff’schen Lyrik

Letzteres wird in Abschied (1810) durch die melancholische Ausgestaltung des bereits im Titel angesprochenen Verlust-Motivs erreicht. Das Lied macht sich überdies, wie für Eichendorff und die Romantik kennzeichnend, ›transzendentalpoetisch‹ selbst zum Thema, indem die der Zivilisation entgegengestellte Natur paradoxerweise als ›Text‹ (und somit als Kultur) erscheint, was der scheinbar klaren Opposition Natur vs. Kultur widerspricht. Charakteristisch für Eichendorffs Lyrik ist des Weiteren, dass der Klang mindestens genauso relevant für ihre Wirkung ist wie die Semantik (vgl. insbesondere Wünschelrute, 1835).

›Sehnsucht‹ als Schlüsselkonzept der Romantik steht bei Eichendorff überall im Zentrum. Am ausdrücklichsten geschieht dies jedoch im Gedicht Sehnsucht (1834). Sehnsucht ist die vage Unzufriedenheit mit dem Hier und Jetzt bzw. das abstrakt-allgemeine und daher nie zu befriedigende Bedürfnis, an einem anderen, besseren Ort zu sein. Eben dieses Bewusstsein kommt in Sehnsucht auch grammatisch durch den Konjunktiv II (Irrealis) zum Ausdruck: »Ach wer da mitreisen könnte […]«. Als unerreichbarer Ort der Sehnsucht – von dem das lyrische Ich durch die gefährlichen Alpen getrennt ist – wird ›Italien‹ stilisiert.

Auch das idealtypisch ›romantische‹ Lied Mondnacht (1835) ist in diesem Gestus der Sehnsucht verfasst: Der mehrfache Konjunktiv II betont konsequent die Irrealität des beschriebenen Eindrucks und macht somit deutlich, dass das Heimkehren der Seele – das Zu-sich-selbst-Kommen – immer unerreichbar bleibt.

Das Marmorbild

Eichendorffs Hauptwerk in Prosa ist die ›Novelle‹ Das Marmorbild. Die Hauptfigur Florio (ein Jüngling, der Dichter werden könnte) muss der heidnischen Versuchung des Sexus (verkörpert in einer antiken Venus-Statue) widerstehen, um schließlich Bianka als christliche Braut zu gewinnen. So wie Florio im Bann der Erotik in massive Verwirrung gerät und seine Realitätsgewissheit verliert, werden auch die Leser planvoll verwirrt, da sie ebenso wenig wie Florio unterscheiden können, was ›wirklich‹ geschieht. Florio wird zuletzt durch den christlichen Gesang des reifen Dichters Fortunato aus seiner Verblendung errettet: Die Gottesmutter Maria triumphiert insofern auch bei Florio über Venus. – In analoger Weise will Eichendorffs Erzählung als dezidiert christliche Dichtung ihre Leser zur wahren Einsicht führen und erweist sich daran als ›spätromantische‹ Konzeption, in der die frühromantische Lust am Verwirren bereits wieder relativiert wird.

Intertextualität

Wie zahlreiche romantische Werke zeichnet sich Das Marmorbild zudem dadurch aus, dass wiederholt deutlich auf Vorgänger-Texte bzw. tradierte Themenkomplexe Bezug genommen wird (Intertextualität). Beispielhaft zu nennen ist hier die Adaption einer Passage in Novalis´ fünfter Hymne an die Nacht, die sich wiederum auf Lessings Wie die Alten den Tod gebildet bezieht.

Eichendorff, Joseph von: Sehnsucht. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 30.

Joseph von Eichendorff: Abschied:

»O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte, schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.

Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.«

[Eichendorff, Joseph von: Abschied. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 31f.]


Joseph von Eichendorff: Ahnung und Gegenwart:

»Friedrich machte noch eilig einen Streifzug durch den Garten und sah noch einmal von dem Berge in die herrlichen Täler hinaus. Auch das stille, kühle Plätzchen, wo er so oft gedichtet und glücklich gewesen, besuchte er. Wie im Fluge schrieb er dort folgende Verse in seine Schreibtafel: «

[Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 447-744, hier S. 550.]


Joseph von Eichendorff: Wünschelrute:

»Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.«

[Eichendorff, Joseph von: Wünschelrute. In: In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 103.]


Joseph von Eichendorff: Sehnsucht:

»Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht. –«

[Eichendorff, Joseph von: Sehnsucht. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 30f.]


Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre:

»Kennst du das Land? wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht.
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin!
Mögt ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

Kennst du das Haus? auf Säulen ruht sein Dach.
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin!
Mögt ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg.
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin!
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!«

[Goethe, Johann Wolfgang: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. Herausgegeben von Hans-Jürgen Schings. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 5. München – Wien 1988, S. 142. ]


Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts:

»Sie lächelte still und sah mich recht vergnügt und freundlich an, und von fern schallte immerfort die Musik herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloß durch die stille Nacht über die Gärten, und die Donau rauschte dazwischen herauf – und es war alles, alles gut!«

[Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 747-832, hier S. 832.]


»Unterwegs erfuhr ich, daß ich nur noch ein paar Meilen von Rom wäre. Da erschrak ich ordentlich vor Freude. Denn von dem prächtigen Rom hatte ich schon zu Hause als Kind viele wunderbare Geschichten gehört, und wenn ich dann an Sonntagsnachmittagen vor der Mühle im Grase lag und alles ringsum so still war, da dachte ich mir Rom wie die ziehenden Wolken über mir, mit wundersamen Bergen und Abgründen am blauen Meer und goldnen Toren und hohen glänzenden Türmen, von denen Engel in goldnen Gewändern sangen. – Die Nacht war schon wieder lange hereingebrochen, und der Mond schien prächtig, als ich endlich auf einem Hügel aus dem Walde heraustrat und auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir sah. – Das Meer leuchtete von weitem, der Himmel blitzte und funkelte unübersehbar mit unzähligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt, von der man nur einen langen Nebelstreif erkennen konnte, wie ein eingeschlafener Löwe auf der stillen Erde, und Berge standen daneben, wie dunkle Riesen, die ihn bewachten.«

[Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 747-832, hier S. 796 f.]


Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens:

»[29. 1. 1827]: Es kam sodann zur Sprache, welchen Titel man der Novelle geben solle; wir taten manche Vorschläge, einige waren gut für den Anfang, andere gut für das Ende, doch fand sich keiner, der für das Ganze passend und also der rechte gewesen wäre. ›Wissen Sie was, sagte Goethe, wir wollen es die Novelle nennen; denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete, unerhörte Begebenheit. Dies ist der eigentliche Begriff, und so Vieles, was in Deutschland unter dem Titel Novelle geht, ist gar keine Novelle, sondern bloß Erzählung oder was Sie sonst wollen.«

[Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Herausgegeben von Heinz Schlaffer. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in
Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 19. München – Wien 1986, S. 203.]


Theodor Storm an Hartmuth und Laura Brinkmann, 21. 1. 1868:

»[Novellen sind] überall ganz realistisch ausgeprägt, und dabei in der ganzen Durchführung doch durch den Drang nach der Darstellung des Schönen u. Idealen getragen.«

[Storm, Theodor: An Hartmuth und Laura Brinkmann (21. 1. 1868). In: Theodor Storm − Hartmuth und Laura Brinkmann. Briefwechsel. Kritische Ausgabe, in Verbindung mit der Theodor-Storm-Gesellschaft herausgegeben von August Stahl, Berlin 1986, S. 153-155, hier S. 155.]


Joseph von Eichendorff: Das Marmorbild:

»Welches Geschäft führt Euch nach Lucca? fragte endlich der Fremde. Ich habe eigentlich gar keine Geschäfte, antwortete Florio ein wenig schüchtern. Gar keine Geschäfte? – Nun, so seid Ihr sicherlich ein Poet! versetzte jener lustig lachend. Das wohl eben nicht, erwiderte Florio und wurde über und über rot. Ich habe mich wohl zuweilen in der fröhlichen Sangeskunst versucht, aber wenn ich dann wieder die alten großen Meister las, wie da alles wirklich da ist und leibt und lebt, was ich mir manchmal heimlich nur wünschte und ahnte, da komm ich mir vor wie ein schwaches vomWinde verwehtes Lerchenstimmlein unter dem unermeßlichen Himmelsdom.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 833-872, hier S. 833.]


»Besonders zog die eine durch ihre zierliche, fast noch kindliche Gestalt und die Anmut aller ihrer Bewegungen Florios Augen auf sich. Sie hatte einen vollen, bunten Blumenkranz in den Haaren und war recht wie ein fröhliches Bild des Frühlings anzuschauen, wie sie so überaus frisch bald über den Rasen dahinflog, bald sich neigte, bald wieder mit ihren anmutigen Gliedern in die heitere Luft hinauf langte. Durch ein Versehen ihrer Gegnerin nahm ihr Federball eine falsche Richtung und flatterte gerade vor Florio nieder. Er hob ihn auf und überreichte ihn der nacheilenden Bekränzten. Sie stand fast wie erschrocken vor ihm und sah ihn schweigend aus den schönen, großen Augen an. Dann verneigte sie sich errötend und eilte schnell wieder zu ihren Gespielinnen zurück.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild. (Anm. 11), S. 835.]


»[…]
Und mitten im Feste
Erblick ich, wie mild!
Den stillsten der Gäste.
Woher, einsam Bild?
[…]
Und manchmal da drehet
Die Fackel er um –
Tiefschauernd vergehet
Die Welt und wird stumm.
[…]

Da trat ein hoher, schlanker Ritter, in reichem Geschmeide, das grünlich-goldene Scheine zwischen die im Winde flackernden Lichter warf, in das Zelt herein. Sein Blick aus tiefen Augenhöhlen war irre flammend, das Gesicht schön, aber blaß und wüst. Alle dachten bei seinem plötzlichen Erscheinen unwillkürlich schaudernd an den stillen Gast in Fortunatos Liede. –«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild (Anm. 11), S. 839 f.]


Novalis: Hymnen an die Nacht (Nr. 5):

»[…] ein ewig buntes Fest der Himmelskinder und der Erdbewohner rauschte das Leben, wie ein Frühling, durch die Jahrhunderte hin – Alle Geschlechter verehrten kindlich die zarte, tausendfältige Flamme, als das höchste der Welt. Ein Gedanke nur war es. Ein entsetzliches Traumbild,

Das furchtbar zu den frohen Tischen trat
Und das Gemüth in wilde Schrecken hüllte.
Hier wußten selbst die Götter keinen Rath,
Der die beklommne Brust mit Trost erfüllte.
[…]«

[Novalis: Hymnen an die Nacht (Nr. 5). In: Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben von Hans- Joachim Mähl und Richard Samuel. Band 1: Das dichterische Werk, Tagebücher und Briefe. Herausgegeben von Richard Samuel. München – Wien 1978, S. 147-177, hier S. 163.]


Joseph von Eichendorff: Das Marmorbild:

»Der Mond, der eben über die Wipfel trat, beleuchtete scharf ein marmornes Venusbild, das dort dicht am Ufer auf einem Steine stand, als wäre die Göttin soeben erst aus den Wellen aufgetaucht und betrachte nun, selber verzaubert, das Bild der eigenen Schönheit, das der trunkene Wasserspiegel zwischen den leise aus dem Grunde aufblühenden Sternen widerstrahlte. Einige Schwäne beschrieben still ihre einförmigen Kreise um das Bild, ein leises Rauschen ging durch die Bäume ringsumher.
Florio stand wie eingewurzelt im Schauen, denn ihm kam jenes Bild wie eine langgesuchte, nun plötzlich erkannte Geliebte vor, wie eine Wunderblume, aus der Frühlingsdämmerung und träumerischen Stille seiner frühesten Jugend heraufgewachsen.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild (Anm. 11), S. 844.]


»Über den stillen Garten weg zog immerfort der Gesang wie ein klarer kühler Strom, aus dem die alten Jugendträume herauftauchten. Die Gewalt dieser Töne hatte seine ganze Seele in tiefe Gedanken versenkt, er kam sich auf einmal hier so fremd und wie aus sich selber verirrt vor. […] – da sagte er leise aus tiefstem Grunde der Seele: Herr Gott, laß mich nicht verloren gehen in der Welt! Kaum hatte er die Worte innerlichst ausgesprochen, als sich draußen ein trüber Wind, wie von demherannahenden Gewitter, erhob und ihn verwirrend anwehte. Zu gleicher Zeit bemerkte er an demFenstergesimse Gras und einzelne Büschel von Kräutern wie auf altem Gemäuer. Eine Schlange fuhr zischend daraus hervor und stürzte mit dem grünlichgoldenen Schweife sich ringend in den
Abgrund hinunter.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild (Anm. 11), S. 864 f.]


»[…]
Und unterm duftgen Schleier
Sooft der Lenz erwacht,
Webt in geheimer Feier
Die alte Zaubermacht.
Frau Venus hört das Locken,
Der Vögel heitern Chor,
Und richtet froh erschrocken
Aus Blumen sich empor.
Sie sucht die alten Stellen,
Das luftge Säulenhaus,
Schaut lächelnd in die Wellen
Der Frühlingsluft hinaus.
[…]
Wo sind nun die Gespielen?
Diana schläft im Wald,
Neptunus ruht im kühlen
Meerschloß, das einsam hallt.
[…]
Denn über Land und Wogen
Erscheint, so still und mild,
Hoch auf dem Regenbogen
Ein andres Frauenbild.
Ein Kindlein in den Armen
Die Wunderbare hält,
Und himmlisches Erbarmen
Durchdringt die ganze Welt.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild (Anm. 11), 869 f.]


»Und so zogen die Glücklichen fröhlich durch die überglänzten Auen in das blühende Mailand hinunter.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild (Anm. 11), S. 872.]


»Glaubt mir, ein redlicher Dichter kann viel wagen, denn die Kunst, die ohne Stolz und Frevel, bespricht und bändigt die wilden Erdengeister, die aus der Tiefe nach uns langen.«

[Eichendorff, Joseph von: Das Marmorbild (Anm. 11), S. 871.]


Joseph von Eichendorff: Vorwort zu Ahnung und Gegenwart:

»[…] ein getreues Bild jener Gewitterschwülen Zeit der Erwartung, der Sehnsucht u. Verwirrung.«

[Eichendorff, Joseph von: [Vorwort zu Ahnung und Gegenwart]. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 992 f., hier S. 992.]


Joseph von Eichendorff: Ahnung und Gegenwart:

»Wer von Regensburg her auf der Donau hinabgefahren ist, der kennt die herrliche Stelle, welche der Wirbel genannt wird. Hohe Bergschluften umgeben den wunderbaren Ort. In der Mitte des Stromes steht ein seltsam geformter Fels, von dem ein hohes Kreuz trost- und friedenreich in den Sturz und Streit der empörten Wogen hinabschaut. […] Der Mund des Wirbels öffnet sich von Zeit zu Zeit dunkelblickend, wie das Auge des Todes. Der Mensch fühlt sich auf einmal verlassen in der Gewalt des feindseligen, unbekannten Elements, und das Kreuz auf dem Felsen tritt hier in seiner heiligsten und größten Bedeutung hervor. Alle wurden bei diesem Anblicke still und atmeten tief über dem Wellenrauschen. Hier bog plötzlich ein anderes fremdes Schiff, das sie lange in weiter Entfernung verfolgt hatte, hinter ihnen um die Felsenecke. Eine hohe, junge, weibliche Gestalt stand ganz vorn auf dem Verdecke und sah unverwandt in den Wirbel hinab.«

[Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 447-744, hier S. 449 f.]


»Die Sonne war eben prächtig aufgegangen, da fuhr ein Schiff zwischen den grünen Bergen und Wäldern auf der Donau herunter.«

[Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 447-744, hier S. 449.]


»Als er in die Kirche eintrat, fand er dort noch alles leer und still. Nur einige fromme Pilger waren noch hin und her in den Bänken zerstreut. Auch die hohe, verschleierte Dame von gestern bemerkte er wieder unter ihnen. Er kniete vor einen Altar und betete. Als er wieder aufstand und sich umwandte, […], sank plötzlich die Dame ohnmächtig auf den Boden nieder. […]
Es war Rosa.
Friedrich hatte nichts mehr davon bemerkt. Beruhigt und glückselig war er in den stillen Klostergarten hinausgetreten. Da sah er noch, wie von der einen Seite Faber zwischen Strömen, Weinbergen und blühenden Gärten in das blitzende, buntbewegte Leben hinauszog, von der andern Seite sah er Leontins Schiff mit seinem weißen Segel auf der fernsten Höhe des Meeres zwischen Himmel und Wasser verschwinden. Die Sonne ging eben prächtig auf.«

[Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 447-744, hier S. 744.]


»Denn wer die Gegenwart aufgibt, wie Friedrich, wem die frische Lust am Leben und seinem überschwenglichen Reichtume gebrochen ist, mit dessen Poesie ist es aus. Er ist wie ein Maler ohne Farben.«

[Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 447-744, hier S. 739.]


Joseph von Eichendorff: Mondnacht:

»Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.«

[Eichendorff, Joseph von: Mondnacht. In: Eichendorff, Joseph von: Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. 2. Auflage. München/Wien 1982, S. 271 f.]


Joseph von Eichendorff: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands:

»Das eigentliche Wesen aller romantischen Kunst dagegen ist das tiefe Gefühl der Wehmut über die Unzulänglichkeit und Vergänglichkeit der irdischen Schönheit, und daher eine stets unbefriedigte ahnungsreiche Sehnsucht und unendliche Perfektibilität.«

[Eichendorff, Joseph von: Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands. In: Joseph von Eichendorff: Werke in sechs Bänden.
Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Brigitte Schillbach und Hartwig Schultz. Band 6: Geschichte der Poesie. Schriften zur
Literaturgeschichte. Herausgegeben von Hartwig Schultz. Frankfurt am Main 1990 (Bibliothek deutscher Klassiker 52), S. 805-1074, hier S. 839.]