Gegenpositionen

Postmoderne Theoreme und Argumentationstechniken sind schnell auf Kritik bzw. Widerwillen gestoßen, da sie Glaubensüberzeugungen jeglicher Art schon an deren Wurzel problematisch machen. Ähnlich wie Fredric Jameson in Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism (1991) erhebt Terry Eagleton im Wissen, dass der Marxismus keine »living political reality« mehr ist, aus trotzdem »broadly socialist perspective«[1] den Vorwurf, die postmoderne Aversion gegen alle Ganzheitlichkeit laufe auf nichts als die Weigerung hinaus, den Kapitalismus ernstzunehmen: »Not looking for totality is just code for not looking at capitalism«.[2] Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist es Alan Sokal und Jean Bricmont in Impostures intellectuelles (1997; dt. Eleganter Unsinn, 1999) in Manchem gelungen, postmodernen Autoritäten wie Jacques Lacan, Jean Baudrillard oder Gilles Deleuze und Félix Guattari peinliche Missverständnisse oder gar die »falsche Verwendung von Begriffen aus der Wissenschaftstheorie«[3] nachzuweisen; Jacques Derrida entgeht dieser Schelte nur aus dem Grund, dass »die Naturwissenschaften in seinem Werk nicht systematisch mißbraucht (und nicht ein­mal besonders beachtet) werden«.[4]

Die zumindest im deutschen Sprachraum gewichtigsten Einwände gegen die Postmoderne als Konservativismus hat Jürgen Habermas in den 1980er Jahren vorgebracht. Seine Dankesrede zur Verleihung des Adorno-Preises 1980 (Die Moderne – ein unvollendetes Projekt) reagiert auf Jean-François Lyotards Attacke in La condition postmoderne, die Habermas’ ›Konsens-Theorie‹ unterstellt, mit der Verpflichtung des vernünftigen Denkens auf größtmögliche Übereinstimmung der unverzichtbaren »Heterogenität der Sprachspiele Gewalt«[5] anzutun. In Entgegnung auf Lyotards Verabschiedung der Aufklärung, die alle ihre Versprechungen gebrochen habe (vgl. S. 35), betont Habermas weiterhin, dass die Aufklärung (bzw. die ›Moderne‹) keineswegs schon falsifiziert sei, sondern ihrer Vollendung noch immer harre. Auch wenn das 20. Jahrhundert den aufgeklärten Vernunftoptimismus eklatant zu widerlegen scheint, sei im Interesse der Humanität »an den Intentionen der Aufklärung, wie gebrochen auch immer«,[6] festzuhalten: »Ich meine, daß wir eher aus den Verirrungen, die das Projekt der Moderne begleitet haben, aus den Fehlern der verstiegenen Aufhebungsprogramme lernen, statt die Moderne und ihr Projekt selbst verloren geben sollten«.[7]

Seine profundeste Auseinandersetzung mit den wichtigsten Denkern der Postmoderne führt Habermas in einer Vorlesungsreihe (1985 als Der philosophische Diskurs der Moderne publiziert), die das, was sonst ›Poststrukturalismus‹ heißt, unter Berufung auf Manfred Frank[8] als ›Neostrukturalismus‹ diskutiert. Indem er die einschlägigen Theoreme einem pauschalen Konservativismus zuschlägt, will Habermas die Errungenschaften der Aufklärung verteidigen und verspricht, dass deren keineswegs bestrittene ›Defizite‹ durch »radikalisierte Aufklärung« zu überwinden sind.[9] Demgegenüber müsse die postmoderne Alternative notwendig an der Tatsache scheitern, dass das »moderne Zeitalter […] vor allem im Zeichen subjektiver Freiheit« stehe[10] und der Gegenwart eine Dialektik aufzwinge, der auch die Neostrukturalisten nicht entkommen. So wie sich Jacques Derrida in »den Zwängen des subjektphilosophischen Paradigmas« verfange,[11] bleibe er auch »blind für den Umstand, daß die kommunikative Alltagspraxis dank der ins kommunikative Handeln eingebauten Idealisierungen Lernprozesse in der Welt« ermöglicht, »an denen sich die welterschließende Kraft der interpretierenden Sprache ihrerseits bewähren muß«.[12] Michel Foucault hingegen stilisiere »›Macht‹ zum transzendental-historistischen Grundbegriff«, überschreite in der Nachfolge von Nietzsche und Heidegger »die Humanwissenschaften durch eine als Antiwissenschaft auftretende Geschichtsschreibung« und verkenne in dieser »Destruktion der Historik«,[13] »daß sich Freiheit, als das Prinzip der Moderne, in den Grundbegriffen der Subjektphilosophie nicht wirklich fassen läßt«.[14]


Fußnotenapparat

[1] Eagleton, Terry: The Illusions of Postmodernism. Oxford 1996, S. IX.

[2] Eagleton, Terry: The Illusions of Postmodernism. Oxford 1996, S. 11.

[3] Sokal/Bricmont: Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen. Ins Deutsche übertragen von Johannes Schwab und Dietmar Zimmer. München 1999, S. 10.

[4] Sokal/Bricmont: Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen. Ins Deutsche übertragen von Johannes Schwab und Dietmar Zimmer. München 1999, S. 25.

[5] Lyotard, Jean-François: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Aus dem Französischen von Otto Pfersmann. Herausgegeben von Peter Engelmann. 3., unveränderte Neuauflage. Wien 1994 (Edition Passagen 7), S. 16: »Où peut résider la légitimité, après les métarécits? Le critère d’opéra­tivité est technologique, il n’est pas pertinent pour juger du vrai et du juste. Le consensus obtenu par discussion, comme le pense Habermas ? Il violente l’hétérogénéité des jeux de langage« (Lyotard, Jean-François: La condition postmoderne. Rapport sur le savoir. Paris 1979, S. 8).

[6] Habermas, Jürgen: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. In: Habermas, Jürgen: Kleine politische Schriften I-IV. Frankfurt/M. 1981, S. 444-464, hier S. 453.

[7] Habermas, Jürgen: Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. In: Habermas, Jürgen: Kleine politische Schriften I-IV. Frankfurt/M. 1981, S. 444-464, hier S. 460.

[8] Vgl. Frank, Manfred: Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt/M. 1984 (es 1203).

[9] Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1985, S. 104f.

[10] Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1985, S. 104.

[11] Vgl. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1985, S. 197.

[12] Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1985, S. 241.

[13]Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1985, S. 298.

[14] Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1985, S. 342.