Weimarer Klassik – Quellen und Zitate

Das Widersinnige einer solchen geschmacklosen Denkart zeigt sich aber im höchsten Grade darin, das die Gesimse der kleinen Häuser durchaus schief nach einer oder der andern Seite hinhängen, so daß das Gefühl der Wasserwage und des Perpendikels, das uns eigentlich zu Menschen macht und der Grund aller Eurythmie ist, in uns zerrissen und gequält wird.

Aus meinem Leben. Von Goethe. Zweyter Abtheilung Zweyter Theil. Stuttgard und Tübingen 1817, S. 180f.

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Durch Einführung einer metrischen Sprache ist man indeß der poetischen Sprache schon um einen grossen Schritt näher gekommen. […] Die Einführung des Chors wäre der lezte, der entscheidende Schritt – und wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären, so solte er uns eine lebendige Mauer seyn, die die Tragödie um sich herumzieht, um sich von der wirklichen Welt rein abzuschließen, und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit zu bewahren.

Schiller, Friedrich: Ueber den Gebrauch des Chors in der Tragödie. In: Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder, ein Trauerspiel mit Chören von Schiller. Tübingen 1803, S. III-XIV, hier S. VIII.

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Das einzige Verhältniß gegen das Publicum, das einen nicht reuen kann, ist der Krieg, und ich bin sehr dafür, daß auch der Dilettantism mit allen Waffen angegriffen wird.

Friedrich Schiller an Johann Wolfgang Goethe, 25. 6. 1799. In: Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805. Fünfter Theil vom Jahre 1799 und 1800. Stuttgart und Tübingen 1829, S. 89f., hier S. 89.

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scribendi recte sapere est et principium et fons (v. 309) / Dichtung rechter Art hat in gesunder Klarheit ihren Grund und Ursprung.

Quintus Horatius Flaccus: De arte poetica / Das Buch von der Dichtkunst. In: Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch. Teil II: Sermones und Epistulae übersetzt und zusammen mit Hans Färber bearbeitet von Wilhelm Schöne. München 11/1993 (Sammlung Tusculum), S. 538-575, hier S. 562/563.

vos exemplaria Graeca / nocturna versate manu, versate diurna (v. 268f.) / Nehmt ihr euch zu Mustern die Griechen: nehmt sie zu jeder Zeit zur Hand, bei Tag und Nacht.

Quintus Horatius Flaccus: De arte poetica / Das Buch von der Dichtkunst. In: Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch. Teil II: Sermones und Epistulae übersetzt und zusammen mit Hans Färber bearbeitet von Wilhelm Schöne. München 11/1993 (Sammlung Tusculum), S. 538-575, hier S. 558/559.

denique sit quodvis, simplex dumtaxat et unum (v. 23) / Kurz und gut, erschaffe, was du willst; nur sei es einartig und aus einem Guß

Quintus Horatius Flaccus: De arte poetica / Das Buch von der Dichtkunst. In: Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch. Teil II: Sermones und Epistulae übersetzt und zusammen mit Hans Färber bearbeitet von Wilhelm Schöne. München 11/1993 (Sammlung Tusculum), S. 538-575, hier S. 540/541.

ne pueros coram populo Medea trucidet / aut humana palam coquat exta nefarius Atreus (v. 185f.) / Nicht darf vor allem Volk Medea ihre Kinder schlachten; nicht darf der grausige Atreus Menschenfleisch auf offener Bühne kochen

Quintus Horatius Flaccus: De arte poetica / Das Buch von der Dichtkunst. In: Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch. Teil II: Sermones und Epistulae übersetzt und zusammen mit Hans Färber bearbeitet von Wilhelm Schöne. München 11/1993 (Sammlung Tusculum), S. 538-575, hier S. 552/553.

Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem Griechischen Himmel zu bilden.

[Winckelmann, Johann Joachim]: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer=Kunst. 1755, S. 1.

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Der eintzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten …

[Winckelmann, Johann Joachim]: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer=Kunst. 1755, S. 8.

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Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grösse, so wohl in der Stellung als im Ausdruck So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bey allen Leidenschaften eine grosse und gesetzte Seele.

[Winckelmann, Johann Joachim]: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer=Kunst. 1755, S. 19.

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Wir können also das Schöne im Allgemeinen auf keine andere Weise erkennen, als in so fern wir es dem Nützlichen entgegenstellen und es davon so scharf wie möglich unterscheiden.

[Moritz, Karl Philipp]: Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig 1788, S. 15.

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Zu dem Begriff des Schönen, welches uns daraus entsprungen ist, dass es nicht nützlich zu sein braucht, gehört also noch, dass es nicht nur oder nicht sowohl, ein für sich bestehendes Ganze wirklich sei, als vielmehr nur wie ein für sich bestehendes Ganze, in unsre Sinne fallen, oder von unsrer Einbildungskraft umfasst werden könne.

[Moritz, Karl Philipp]: Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig 1788, S. 17.

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Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers, ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im großen Ganzen der Natur; welches das noch mittelbar durch die bildende Hand des Künstlers nacherschafft, was unmittelbar nicht in ihren großen Plan gehörte.

[Moritz, Karl Philipp]: Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig 1788, S. 19.

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Das Schöne kann daher nicht erkannt, es muss hervorgebracht − oder empfunden werden.

[Moritz, Karl Philipp]: Ueber die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig 1788, S. 27.

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  • §. 2. | Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurtheil bestimmt, ist ohne alles Interesse.

[Kant, Immanuel]: Critik der Urtheilskraft. Berlin und Libau 1790, S. 5.

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Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird.

Kant, Immanuel]: Critik der Urtheilskraft. Berlin und Libau 1790, S. 60.

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  • §. 59. | Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit.

Kant, Immanuel]: Critik der Urtheilskraft. Berlin und Libau 1790, S. 251.

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… übernatürlich, aber nicht aussernatürlich …

Goethe, Johann Wolfgang: Ueber Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke. In: Propyläen. Eine periodische Schrift herausgegeben von Goethe. Ersten Bandes Erstes Stück. Tübingen 1798, S. 55-65, hier S. 64.

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Jedes Kunstwerk muß sich als ein solches anzeigen, und das kann es allein durch das, was wir sinnliche Schönheit oder Anmuth nennen. Die Alten, weit entfernt von dem modernen Wahne, daß ein Kunstwerk dem Scheine nach wieder ein Naturwerk werden müsse, bezeichneten ihre Kunstwerke als solche, durch gewählte Ordnung der Theile, sie erleichterten dem Auge die Einsicht in die Verhältnisse durch Symmetrie, und so ward ein verwikeltes Werk faßlich.

Goethe, Johann Wolfgang: Ueber Laokoon. In: Propyläen. Eine periodische Schrift herausgegeben von Goethe. Ersten Bandes Erstes Stück. Tübingen 1798, S. 1-19, hier S. 4.

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[…] tout à fait selon les règles […]. / ›ganz und gar den Regeln gemäß‹

Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände. Herausgegeben von Hendrik Birus u. a. Abteilung I. Band 5: Johann Wolfgang Goethe. Dramen 1776-1790. Unter Mitarbeit von Peter Huber herausgegeben von Dieter Borchmeyer. Frankfurt/M. 1988 (Bibliothek deutscher Klassiker 32), S. 1027f.

Außer einigem Fleiß an der Iphigenie, hab ich meine meiste Zeit auf den Palladio gewendet, und kann nicht davon kommen. […] Ich sah in Verona und Vicenz was ich mit meinen Augen ersehen konnte, in Padua fand ich erst das Buch, jetzt studier ich’s und es fallen mir wie Schuppen von den Augen, der Nebel geht auseinander und ich erkenne die Gegenstände. Auch als Buch ist es ein großes Werk. Und was das ein Mensch war! Meine Geliebte wie freut es mich daß ich mein Leben dem Wahren gewidmet habe, da es mir nun so leicht wird zum Großen überzugehen, das nur der höchste reinste Punkt des Wahren ist.

Goethe, Johann Wolfgang: Tagebuch der italienischen Reise für Frau von Stein. 1786. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 3.1: Italien und Weimar. 1786-1790. I. Herausgegeben von Norbert Miller und Hartmut Reinhardt. München – Wien 1990, S. 7-158, hier S. 95.

Wollte Gott ich könnte meine Iphigenie noch ein halb Jahr in Händen behalten, man sollt ihr das mittägige Klima noch mehr anspüren.

Goethe, Johann Wolfgang: Tagebuch der italienischen Reise für Frau von Stein. 1786. In: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Herausgegeben von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert, Norbert Miller und Gerhard Sauder. Band 3.1: Italien und Weimar. 1786-1790. I. Herausgegeben von Norbert Miller und Hartmut Reinhardt. München – Wien 1990, S. 7-158, hier S. 96.

Hiebei kommt die Abschrift des gräcisirenden Schauspiels [Iphigenie auf Tauris]. Ich bin neugierig was sie ihm abgewinnen werden. Ich habe hie und da hineingesehen, es ist ganz verteufelt human.

Goethe, Johann Wolfgang: An Friedrich Schiller, 19. 01. 1802. In: Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller in den Jahren 1794 bis 1805. Sechster Theil vom Jahre 1801 bis 1805. Stuttgart und Tübingen 1829, S. 73f.

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          Iphigenie.

Heraus in eure Schatten, rege Wipfel

Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines,

Wie in der Göttinn stilles Heiligthum,

Tret’ ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,

Als wenn ich sie zum erstenmal beträte,

Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.

So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen

Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;

Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.

Denn ach mich trennt das Meer von den Geliebten,

Und an dem Ufer steh’ ich lange Tage,

Das Land der Griechen mit der Seele suchend;

Und gegen meine Seufze bringt die Welle

Nur dumpfe Töne brausend mir herüber.                             [I 1, v. 1-14]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 3f.

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          Thoas.

Die Göttinn übergab dich meinen Händen;

Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir.

Auch sey ihr Wink noch künftig mein Gesetz:

Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst,

So sprech’ ich dich von aller Fordrung los.

Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,

Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch

Ein ungeheures Unheil ausgelöscht,

So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz.

Sprich offen! und du weißt, ich halte Wort.                         [I 3, v. 290-299]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 20.

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          Orest.

Ich kann nicht leiden, daß du große Seele

Mit einem falschen Wort betrogen werdest.

Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein Fremder

Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt,

Zur Falle vor die Füße; zwischen uns

Sey Wahrheit!

Ich bin Orest! und dieses schuld’ge Haupt

Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod;

In jeglicher Gestalt sey er willkommen!                               [III 1, v. 1074-1082]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 66.

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          Iphigenie.

[…] — Ja, vernimm, o König,

Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet;

Vergebens fragst du den Gefangnen nach;

Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde,

Die mit dem Schiff’ am Ufer warten, auf.

Der ältste, den das Übel hier ergriffen

Und nun verlassen hat — es ist Orest,

Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter,

Sein Jugendfreund, mit Nahmen Pylades.

Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer

Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild

Dianens wegzurauben und zu ihm

Die Schwester hinzubringen, und dafür

Verspricht er dem von Furien Verfolgten,

Des Mutterblutes Schuldigen, Befreyung.                            [V 3, v. 1919-1933]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 118f.

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          Iphigenie.

Uns beyde hab’ ich nun, die Überbliebnen

Von Tantals Haus’, in deine Hand gelegt:

Verdirb uns — wenn du darfst.

          Thoas.

Du glaubst, es höre

Der rohe Scythe, der Barbar, die Stimme

Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus, Der Grieche, nicht vernahm?

          Iphigenie.

Es hört sie jeder,

Geboren unter jedem Himmel, dem

Des Lebens Quelle durch den Busen rein

Und ungehindert fließt. […]                                                 [V 3, v. 1934-1942]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 119f.

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          Iphigenie.

Denk’ an dein Wort, und laß durch diese Rede

Aus einem g’raden treuen Munde dich
Bewegen! Sieh’ uns an! Du hast nicht oft
Zu solcher edeln That Gelegenheit.
Versagen kannst du’s nicht; gewähr’ es bald.

          Thoas.

So geht!

          Iphigenie.

Nicht so, mein König! Ohne Segen,

In Widerwillen, scheid’ ich nicht von dir.                            [V 3, v. 2146-2152]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 134f.

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          Iphigenie.

Leb wohl! O wende dich zu uns und gib

Ein holdes Wort des Abschieds mir zurück!

Dann schwellt der Wind die Segel sanfter an,

Und Thränen fließen lindernder vom Auge

Des Scheidenden. Leb’ wohl! und reiche mir

Zum Pfand der alten Freundschaft deine Rechte.

          Thoas.

Lebt wohl!                                                                             [V 6, v. 2168-2174]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 135f.

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          Thoas.

Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser

Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind

Zu tilgen sucht, so wehret sich der Zorn

In meinem Busen gegen deine Worte.                                  [V 3, v. 1979-1982]

[Goethe, Johann Wolfgang]: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Von Goethe. Ächte Ausgabe. Leipzig 1787, S. 122.

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