Neue Sachlichkeit – Quellen und Zitate

Die Darstellung erfordert bei der ungeheuren Menge des Geformten einen Kinostil. In höchster Gedrängtheit und Präzision hat „die Fülle der Gesichte“ vorbeizuziehen. Der Sprache das Aeußerste der Plastik und Lebendigkeit abzuringen. Der Erzählerschlendrian hat im Roman keinen Platz; man erzählt nicht, sondern baut.

Döblin, Alfred: An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm. In: Der Sturm. Halbmonatsschrift für Kultur und die Künste. Vierter Jahrgang. Berlin – Paris Mai 1913, Nr. 158/159, S. 17f., hier S. 18.

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Wenn einige sagen oder gesagt haben, man habe im Literarischen möglichst Realitäten abzuspiegeln oder meinetwegen Realitäten in konzentrierter Form zu geben, so irren sie, weil es keine literarische Realität gibt. ›Literarisch‹ und ›Realität‹ sind Widersprüche in sich. Die Literatur tut etwas zur Realität, die unser tägliches Wortmaterial gibt, hinzu, die Daten der Realität werden benutzt, um zu zeigen, daß man zusetzt und wo man zusetzt und was man zusetzt.

Döblin, Alfred: Schriftstellerei und Dichtung [Redefassung]. In: Döblin, Alfred: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Christina Althen. Band 22: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur. Mit einem Nachwort von Erich Kleinschmidt. Frankfurt am Main 2013, S. 199-209, hier S. 203.

Die Wortkunst hat es überaus viel schwerer als etwa die Malerei und Musik, um zur Kunst zu kommen. Das Ausgangsmaterial der Musik und der Malerei ist selbst schon hinreichend wirklichkeitsfremd. Auf Wirklichkeitsfremdheit, kraß: auf Unnatur kommt es ja an; es hat keinen Sinn und ist unmöglich, das Vorhandene zu wiederholen; etwas Neues, Menscheneigentümliches soll hervorgebracht werden.

Döblin, Alfred: Schriftstellerei und Dichtung [Redefassung]. In: Döblin, Alfred: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Christina Althen. Band 22: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur. Mit einem Nachwort von Erich Kleinschmidt. Frankfurt am Main 2013, S. 199-209, hier S. 203.

Lieber Ernst, meine Gedanken schenken dir einen blauen Himmel, ich habe dich lieb. Ich will – will – ich weiß nicht – ich will zu Karl. Ich will alles mit ihm zusammen tun. Wenn er mich nicht will – arbeiten tu ich nicht, dann geh ich lieber auf die Tauentzien und werde ein Glanz.

Aber ich kann ja dann auch eine Hulla werden – und wenn ich ein Glanz werde, dann bin ich ja vielleicht noch schlechter als eine Hulla, die ja gut war. Auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an.

Keun, Irmgard: Das kunstseidene Mädchen. Roman. In: Keun, Irmgard: Das Werk. Band 1: Texte aus der Weimarer Republik 1931-1933. Im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung herausgegeben von Heinrich Detering und Beate Kennedy. Mit einem Essay von Ursula Krechel. Göttingen 2017, S. 232-387, hier S. 360f.

Und ich denke, daß es gut ist, wenn ich alles beschreibe, weil ich ein ungewöhnlicher Mensch bin. Ich denke nicht an Tagebuch –  das ist lächerlich für ein Mädchen von achtzehn und auch sonst auf der Höhe. Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein. Und ich sehe aus wie Colleen Moore, wenn sie Dauerwellen hätte und die Nase mehr schick ein bißchen nach oben. Und wenn ich später lese, ist alles wie Kino – ich sehe mich in Bildern.

Keun, Irmgard: Das kunstseidene Mädchen. Roman. In: Keun, Irmgard: Das Werk. Band 1: Texte aus der Weimarer Republik 1931-1933. Im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung herausgegeben von Heinrich Detering und Beate Kennedy. Mit einem Essay von Ursula Krechel. Göttingen 2017, S. 232-387, hier S. 233.

Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris. Und die Leute achten mich hoch, weil ich ein Glanz bin und werden es dann wunderbar finden, wenn ich nicht weiß, was ein Kapazität ist und nicht runter lachen auf mich wie heute […].

Keun, Irmgard: Das kunstseidene Mädchen. Roman. In: Keun, Irmgard: Das Werk. Band 1: Texte aus der Weimarer Republik 1931-1933. Im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung herausgegeben von Heinrich Detering und Beate Kennedy. Mit einem Essay von Ursula Krechel. Göttingen 2017, S. 232-387, hier S. 260.

[…] Und seit drei Minuten 1932. | Denn das ist nämlich die Hauptsache bei einem neuen Jahr: man muß auf einem Büro die Briefe mit einer neuen Zahl schreiben, was sich für vier Wochen lang leicht vergißt. | »Armer Gigolo, schöner Gigolo«, sang das grüne Moos. | »Wieso?« frag ich. | »Meine Frau ist mit einem durchgebrannt.« | »Berlin ist eine große Stadt, in der viel passiert«, sag ich, denn man muß was sagen bei so seelischen Geständnissen von Männern, trotzdem es garantiert immer falsch ist und darum ist ganz egal was. Und sitze jetzt in geborgener Wohnung.

Keun, Irmgard: Das kunstseidene Mädchen. Roman. In: Keun, Irmgard: Das Werk. Band 1: Texte aus der Weimarer Republik 1931-1933. Im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung herausgegeben von Heinrich Detering und Beate Kennedy. Mit einem Essay von Ursula Krechel. Göttingen 2017, S. 232-387, hier S. 338.